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Homosexuelle im Nahen Osten werden diskriminiert.

© dpa

Gastbeitrag: Homosexuelle aus dem Nahen Osten werden nicht gehört

Es gibt einen blinden Fleck in der Arbeit von Menschenrechtsorganisationen, meint unser Gastautor Ben Dagan: Die dramatische Lage von Schwulen und Lesben in den islamischen Gesellschaften des Nahen Ostens wird verkannt.

Der diesjährige Menschenrechtstag, der am Montag begangen wurde, stand unter dem Motto „Meine Stimme zählt“. Er soll all jenen Menschen eine Stimme in der Öffentlichkeit geben, deren Aufschreie ansonsten ungehört verhallen. Wenn es jedoch um öffentliche Aufmerksamkeit und Problembewusstsein geht, könnte man meinen, dass Homosexuelle im Nahen Osten entweder keiner Gefahr aufgrund ihrer sexuellen Neigung ausgesetzt sind oder dass sie, wie der iranische Diktator Ahmadinedschad es einmal so realitätsfremd formulierte, gar nicht existieren. Man muss jedoch kein Experte für Homosexuellenrechte sein, um sich in etwa vorstellen zu können, wie dramatisch die Lage von Schwulen und Lesben in den islamischen Gesellschaften des Nahen Ostens ist. Ihre Rechte werden nicht nur nicht geschützt, sondern sie werden ihnen abgesprochen. Dabei fällt auf, dass Menschenrechtsorganisationen diese Gruppe derart vernachlässigen, dass man sich in Deutschland des Problems kaum im vollem Maße bewusst werden kann.

Ein blinder Fleck für Menschenrechtsorganisationen

Weshalb werden Homosexuelle in dieser Region von deutschen Menschenrechtsorganisationen derart vernachlässigt? Wenn große Menschenrechtsorganisationen Verstöße anklagen, bekommen die Opfer wie auch die Täter internationale Aufmerksamkeit, die Öffentlichkeit wird informiert und im besten Fall interveniert die Politik. Mit diesem Einfluss ist auch eine Verantwortung verbunden, die auf dem Vertrauen derjenigen fußt, die sich auf diese Organisationen verlassen. Es wäre an dieser Stelle sicherlich leicht, auf mangelndes Personal und fehlende Ressourcen zu verweisen, doch während eine ausführliche Berichterstattung zu verschiedensten Themen im Nahen Osten vorhanden ist, müsste man auf die LGBT-Sektion (englische Abkürzung für: lesbisch, schwul, bisexuell und transgender) der deutschen Sektion von Amnesty International blicken, um auf die wenigen Aktionen für diese Gruppe in dieser Region ansatzweise aufmerksam zu werden. Diese Unausgewogenheit erweckt den Anschein, dass die Verfolgung Homosexueller als Thema weniger attraktiv für den heimischen Absatzmarkt ist, wobei sich die Frage aufdrängt, wie schlimm die Situation noch werden muss, damit sich dieser Umstand endlich ändert. Man wartet immer noch auf den Aufschrei deutscher Organisationen, wenn es um Zwangsuntersuchungen am Anus von Männern im Libanon geht, um festzustellen, ob sie „widernatürlichen Geschlechtsverkehr“, der unter Strafe steht, hatten. Und während dieses Jahr kurzzeitig doch auch von Menschenrechtsorganisationen über die homophoben Übergriffe und Ermordungen von Emos (Mitglieder einer Jugendsubkultur) im Irak gesprochen wurde, scheint das Thema heute erledigt zu sein. Dem Leid zumindest eine Stimme zu geben, indem adäquat darüber berichtet wird, wäre ein unzulängliches Minimum, doch selbst das wird nicht erfüllt.

Schreie, die nicht gehört werden

Wenn Menschenrechte diskutiert werden, dürfen die Missstände nicht gegeneinander ausgespielt werden. Natürlich ist es die Pflicht von Menschenrechtsorganisationen, zum Beispiel über das Schlachten des Assadregimes zu berichten, doch entbindet sie das nicht von ihrer Pflicht, auch sexuellen Minderheiten eine der Situation angemessene Berichterstattung zukommen zu lassen. Wer sich heute die ausführlichen Berichte, Aufrufe und dergleichen zu den palästinensischen Gebieten auf der Website von Amnesty Deutschland ansieht, wird keinen Artikel zur Lage der Homosexuellen in den letzten Jahren finden. Doch wäre es falsch anzunehmen, dass Homosexuelle im Gazastreifen und der Westbank keinen Gefahren aufgrund ihrer sexuellen Orientierung ausgesetzt sind. Eine Studie der Universität Tel Aviv aus dem Jahr 2008 beschreibt den Leidensdruck, die Schikanen und die akute Gefahr, der sich die Betroffenen hilflos ausgesetzt sehen. Wenn man davon spricht, dass am Menschenrechtstag jenen Menschen eine Stimme gegeben werden sollte, die sonst nicht gehört werden, dann sind es die Homosexuellen des Nahen Ostens, zusammen mit allen anderen Mitgliedern der LGBT-Gemeinschaft, die diese Aufmerksamkeit auch an allen anderen Tagen im Jahr benötigen.

Was wäre zu tun?

Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty Deutschland müssen die Konsequenzen ziehen und beweisen, dass sie bei jedem Übergriff auf Homosexuelle die Verantwortlichen dafür ächten und andere Staaten auffordern, Maßnahmen zum Schutz von sexuellen Minderheiten im Sinne der Menschenrechte zu treffen. Das würde auch bedeuten, dass deutsche Menschenrechtler kontinuierlich auf die Lage von Homosexuellen hinweisen und Aktivistinnen und Aktivisten aus der Region eine Plattform bieten, um ihnen endlich Gehör zu verschaffen. Es gilt, zugunsten der Opfer jene Gesellschaftsstrukturen ins Visier zu nehmen, in denen Homosexuelle unterdrückt und ermordet werden. Das wäre ein wichtiger Schritt, dem Anspruch des Menschenrechtstages Rechnung zu tragen. Die großen Menschenrechtsorganisationen müssen endlich ihren Beitrag leisten auf dem Weg zu einer Gesellschaft, in der niemand fürchten muss, aufgrund seiner sexuellen Neigung verfolgt zu werden. Dies würde nicht nur den Betroffenen helfen, sondern auch dem Nahen Osten insgesamt, da sich die Freiheit einer jeden Gesellschaft stets daran misst, inwiefern ihre Minderheiten geschützt werden. Im Sinne der Frauen, die 1979 gegen die Vorhaben der islamistischen Unterdrücker im Iran auf die Straße gegangen sind, muss heute gesagt werden: Menschenrechte sind weder westlich noch östlich, sondern universal.

Der Autor Ben Dagan ist als Israel Government Fellow bei der in Jerusalem ansässigen Forschungsorganisation NGO-Monitor tätig.

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