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Der russische Präsident Medwedew und Bundeskanzlerin Merkel besprachen sich während der Deutsch-Russischen Regierungskonsultationen in Hannover. Nennenswerte Fortschritte gab es nur auf wirtschaftlicher Ebene.

© dpa

Gastkommentar: Bei der deutsch-russischen Modernisierungspartnerschaft ist Skepsis angebracht

Moskaus außenpolitische Agenda spiegelt nach Meinung von Susan Stewart von der Stiftung Wissenschaft und Politik die schwache innenpolitische Reformbereitschaft in Russland wider.

Der Ausgang der jüngsten deutsch-russischen politischen Begegnungen weist darauf hin, dass Russland in den Beziehungen zu Deutschland eine beschränkte Agenda verfolgt. Das erklärt auch die fehlende Dynamik in der deutsch-russischen Modernisierungspartnerschaft. Moskaus Einstellung ist zuletzt sowohl bei den deutsch-russischen Regierungskonsultationen als auch beim Petersburger Dialog in Hannover deutlich geworden.

Das Verhalten der russischen Seite in Hannover spiegelt die interne Entwicklung in Russland wider, wo eine breit angelegte Modernisierung immer unwahrscheinlicher wird. Daraus lassen sich einige Schlussfolgerungen auf den momentanen außenpolitischen Kurs Moskaus ziehen. Erstens deutet eine Reihe von Aussagen und Handlungen darauf hin, dass Russland sich in seinem Verhältnis sowohl zu Deutschland als auch zur EU weitgehend über die Energiebeziehungen definiert. Hierbei ist die Überzeugung in Russland gewachsen, dass die Abhängigkeit Deutschlands vom russischen Gas in der nächsten Zeit zunehmen wird, und dass Russland dadurch am längeren Hebel sitzt. Zweitens sind für Russland Themen, die mit der Reisefreizügigkeit verbunden sind, von großer Bedeutung, allen voran die Frage der Visa-Abschaffung, so dass Moskau in diesem Bereich Unterstützung von Deutschland für seine Bemühungen in Brüssel sucht. Drittens ist aber auch klar, dass Russland an einem genuinen zivilgesellschaftlichen Dialog zwischen den beiden Ländern wenig interessiert ist.

Diese Schlussfolgerungen zu Rohstoffen, Visa und Zivilgesellschaft werden durch einen Blick auf die innenpolitische und wirtschaftliche Entwicklung sowie den außenpolitischen Diskurs in Russland jeweils bekräftigt.

Der „arabische Frühling“ und die Atomkraftkatastrophe in Japan haben Russlands Bereitschaft zu einer weiteren wirtschaftlichen Öffnung gegenüber dem Westen, die sich vorher infolge der Wirtschafts- und Finanzkrise vergrößert hatte, wieder vermindert. Die Folgen dieser Ereignisse werden von Russland als eine Stärkung der eigenen Energiemacht interpretiert, die Moskau einen Vorteil in Verhandlungen mit einer Reihe von EU-Mitgliedsstaaten gibt. Innenpolitisch zeichnet sich zugleich die wachsende Stilisierung des Rohstoffreichtums Russlands als Mittel zur Stärkung des Staates und der nationalen Unabhängigkeit ab. In Vorbereitung steht der Zusammenschluss des großen privaten russischen Stromkonzerns IES mit Energoholding, einer Tochterfirma von Gazprom und somit die weitere Verstaatlichung der Energiebranche.

Russlands Wunsch, bei der Visa-Liberalisierung mit dem Westen voranzukommen, hat dazu geführt, dass in Moskau über eine Erleichterung der bisherigen Anmeldungsprozedur für bestimmte Kategorien von Ausländern nachgedacht wird. Dies würde zum Beispiel deutschen Geschäftsleuten, die in Russland unterwegs sind, zugute kommen, da einige zeitraubende bürokratische Vorgänge abgeschafft würden.

Schließlich hat die Stärkung der Zivilgesellschaft für die russische Führung keine Priorität, vielmehr werden die Nichtregierungsorganisationen von vielen in der russischen Machtelite als Störfaktor empfunden. Dies manifestiert sich in den vielfältigen bürokratischen Hürden, die die Arbeit von zivilgesellschaftlichen Initiativen in Russland erschweren. Auch hat sich Russland bislang geweigert, der Einbindung der Zivilgesellschaft einen höheren Stellenwert in der „Partnerschaft für Modernisierung“ zwischen der EU und Russland einzuräumen.

Lesen Sie mehr im zweiten Teil.

Im Zusammenhang mit der deutsch-russischen Modernisierungspartnerschaft hat die deutsche Seite seit 2008 eine Reihe von Angeboten gemacht, um die Beziehungen auf eine breitere Basis zu stellen. Diese Vorschläge gehen von der Annahme aus, dass die russische Führung beabsichtigt, weitgehende Reformen umzusetzen. Momentan deutet allerdings so gut wie nichts darauf hin. Obwohl der russische Präsident Dmitrij Medwedew einen für den Westen angenehmeren Gesprächsstil pflegt als der Premierminister Wladimir Putin, haben gut drei Jahre seiner Präsidentschaft gezeigt, dass er trotz der Rhetorik nur unbedeutende Reformschritte durchgeführt hat. Ein grundlegender Kurswechsel ist auch in der Zukunft nicht zu erwarten, da fest verwurzelte Strukturen und starke Interessen in Russland weitreichenden Veränderungen entgegen stehen. Deswegen fallen die deutschen Angebote z. B. im Gesundheitsbereich oder zur Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen auf wenig fruchtbaren Boden.

Zusätzlich zu diesen strukturellen Hindernissen wird die deutsch-russische Zusammenarbeit aktuell durch die kommenden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in Russland beeinträchtigt. Die Wahlen werden in den nächsten Monaten alle anderen Fragen überschatten. Nach den Urnengängen im Dezember 2011 bzw. März 2012 wird es für die Machthabenden darum gehen, das Erreichte zu konsolidieren und wenn möglich zu vermehren. Dabei werden viele Partikularinteressen mithilfe von korrupten Beamten bedient, die vom existierenden System profitieren und deswegen keine Reformen unterstützen. Die Gesellschaft - mit der möglichen Ausnahme von einigen sozialen Zahlungen, damit kein signifikantes Protestpotenzial entsteht - wird vermutlich wieder leer ausgehen.

Für die deutsch-russischen Beziehungen bedeutet dies, dass der Spielraum für deren Ausbau nicht größer wird. Die Zusammenarbeit im Energiebereich und mit einigen Großkonzernen wird wohl weiterhin florieren, insbesondere wenn diese mit dem Technologietransfer nach Russland einhergeht. Unter Umständen wird es zur gegenseitigen Gewährung von Erleichterungen im Reiseverkehr kommen können. Eine Ausdehnung der Modernisierungspartnerschaft wird aber wegen der dominanten Interessenlage in Russland kaum möglich sein.

Susan Stewart forscht an der Stiftung Wissenschaft und Politik, die den Bundestag und die Bundesregierung in allen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik parteipolitisch unabhängig berät. Der Artikel erscheint auf der SWP-Homepage unter der Rubrik „Kurz gesagt“.

Susan Stewart

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