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Renate Künast hat mit den Grünen zwar zugelegt, aber trotzdem gefühlt verloren.

© dpa

Gastkommentar: Die Grünen - eine gefühlte Niederlage

Die Grünen haben seit fast vier Jahren keine Wahl mehr verloren und auch bei der Abgeordnetenhauswahl in Berlin deutlich zugelegt. Trotzdem ist die Partei nun enttäuscht. Ihnen sind die Machtfantasien zu Kopf gestiegen.

Eigentlich gehören die Grünen zu den großen Siegern der Abgeordnetenhauswahl in Berlin, neben den Piraten. Eigentlich könnte auch Spitzenkandidatin Renate Künast recht zufrieden sein. Eigentlich. Mit 17,6 Prozent hat die Partei ein Rekordergebnis eingefahren, sie hat 4,5 Prozentpunkte zugelegt und mehr Direktmandate gewonnen als je zuvor. Anders die Sozialdemokraten, sie haben trotz ihres Zugpferds Klaus Wowereit an Zustimmung verloren. Zwanzig Jahre, nachdem das erste rot-grüne Bündnis in Berlin grandios scheiterte, dürfen die Grünen wieder auf eine Regierungsbeteiligung hoffen. Es wäre bundesweit die fünfte. Eigentlich geht der grüne Höhenflug, der dieses Superwahljahr geprägt hat, weiter.

Trotzdem waren die Gesichter auf der grünen Wahlparty in Berlin-Kreuzberg am Sonntagabend ziemlich lang. Die Grünen sind entgegen ihren Erwartungen nicht an der CDU oder gar an der SPD vorbeigezogen. Die Bundestagsfraktionschefin Renate Künast ist als Bürgermeisterkandidatin in der Hauptstadt grandios gescheitert. Gefühlt gehören die Grünen zu den Wahlverlierern und das liegt daran, dass sie seit ein paar Monaten nicht mehr an der Vergangenheit gemessen werden, sondern an ihren Ansprüchen. Nicht mehr an der politischen Realität, sondern an zweifelhaften Prognosen, nicht mehr an den nüchternen Fakten, sondern an kühnen Machtphantasien.

Am Ende des Superwahljahres 2011 wollten die Grünen offensichtlich zu schnell zu viel, sie wollten nicht mehr langsam wachsen, sondern zum großen Sprung ansetzen. Nun mussten sie in Berlin die bittere Erfahrung machen, Hybris kommt vor dem Fall. Die Hoffnungen der Grünen, zukünftig bei den großen Parteien mitspielen zu dürfen, SPD und CDU auf Augenhöhe gegenübertreten zu können, haben sich zerschlagen, vorerst zumindest. Stattdessen haben nun auch die Grünen die Erfahrung machen müssen, wie schnell sich angesichts erodierender Wählerbindungen politische Trends umkehren können, wie schwankend gesellschaftliche Stimmungen sind und wie unberechenbar die Wähler.

Warum die Grünen weit davon entfernt sind, Volkspartei zu sein, erfahren Sie auf der nächsten Seite.

Ohne Zweifel sind die Grünen seit der Bundestagswahl 2009 politisch in eine neue Liga aufgestiegen. Seit fast vier Jahren haben sie keine Wahl mehr verloren, bei allen 16 Landtagswahlen, der Bundes- und der Europawahl haben sie zuletzt und zum Teil deutlich zugelegt. In so unterschiedlichen Ländern wie Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg oder Mecklenburg-Vorpommern haben sie dabei ihren Stimmenanteil mehr als verdoppelt. Zudem hat die Partei in Baden-Württemberg deutsche Geschichte geschrieben und ist dort im März in die stolze Phalanx der roten und schwarzen Ministerpräsidenten eingedrungen. Doch die Bedingungen dort waren völlig andere als in Berlin. Dass die Grünen in Baden-Württemberg ihren historischen Erfolg vor allem von einem Atomunfall im fernen Japan verdanken sowie dem Widerstand gegen einen Bahnhof, den ein grüner Ministerpräsident nun bauen muss, dies hatte aber offenbar vor allem Renate Künast im Berliner Wahlkampf schon wieder vergessen. In Baden-Württemberg konnten die Grünen mit ihrem Ministerpräsidentenkandidaten Winfried Kretschmann zudem nur deshalb triumphieren, weil der christdemokratische Amtsinhaber unbeliebt und der sozialdemokratische Konkurrent unbekannt war.

Vieles hingegen haben die Berliner Grünen und allen voran die Bürgermeisterkandidatin Renate Künast in den letzten elf Monaten falsch gemacht. Sie haben den Wahlkampf zu früh eröffnet, sie haben vergessen,  rechtzeitig Themen zu setzen. Ihr Wahlkampf war bieder und einfallslos. Zudem ist es ihnen nicht gelungen, eine Wechselstimmung zu entfachen. Dafür hätten sie einen anderen Koalitionspartner als die SPD gebraucht. Doch der Debatte um die Frage, wie halten wir es mit der CDU, hat sich der Berliner Landesverband kollektiv verweigert.

In fataler Weise hat Renate Künast stattdessen geglaubt, den Amtsinhaber Klaus Wowereit ausgerechnet auf dem Felde zu schlagen, wo dieser am Stärksten ist: in einem persönlichen Duell, in dem nicht das Programm oder die Kompetenz im Vordergrund steht, sondern die Persönlichkeiten. Am Ende blieb Künast nichts anderes übrig, als schon vor dem Wahltag die Niederlage einzugestehen und sich artig in die Rolle des Mehrheitsbeschaffers der SPD zu fügen. Das hätte die Partei billiger haben können.

Viele grüne Träume sind am Sonntag in Berlin geplatzt. Auch über Berlin hinaus sind die Grünen noch weit davon entfernt, tatsächlich zu Union und SPD aufschließen zu können. Baden-Württemberg war eine Ausnahme, das die Potenziale der Partei aufgezeigt hat, trotzdem war es ein Zufallsergebnis. Die Grünen sind weit davon entfernt, den beiden großen Parteien tatsächlich Paroli bieten zu können. Ihre politische Kompetenz beschränkt sich auf ausgewählte Politikfelder.

Auch in Berlin hat es Renate Künast nicht für nötig befunden, neben sich ein Team profilierter Finanz-, Innen- oder Wirtschaftspolitiker zu präsentieren.  Auch weiterhin speisen sich die vielen grünen Wahlerfolge vor allem aus der Unzufriedenheit über die jeweilige Regierung. Wenn die Grünen glaubten, sie könnten Volkspartei werden, dann sind sie am Sonntag auf den Boden der Realität zurückgekehrt.

Trotzdem gibt es für die Grünen keinen Grund, jetzt die Alarmglocken zu läuten. Auch nach dem Rückschlag in Berlin bleiben die Perspektiven der Partei zumindest mittelfristig alles andere als schlecht, vor allem dann, wenn sie aus den Berliner Fehlern lernen. Von den drei kleineren Bundestagsparteien sind die Grünen derzeit fraglos die stärkste. Sie haben mit der Ökologie ein Zukunftsthema zu ihrem Markenkern gemacht. Angesichts der Erosion von Wählerbindungen kann die Partei sowohl im linken als auch im rechten Lager neue Wähler mobilisieren. Sie kann dabei vor allem auf bürgerlichem Terrain, auf dem die SPD nie Fuß fassen konnte, reüssieren. So ist es auch kein Wunder, dass die Grünen von der Unzufriedenheit der Wähler mit der schwarz-gelben Bundesregierung derzeit wesentlich mehr profitieren als die SPD.

Machtstrategisch befindet sich die Partei in einer Schlüsselposition, denn ohne sie wird 2013 aller Voraussicht nach nur eine große Koalition möglich sein. Auch wenn die Grünen nach der Wahl in Berlin enttäuscht sind, ihr Höhenflug ist noch nicht vorbei. Enden wird dieser erst, wenn die Grünen andere Seite der SPD oder der Union wieder das Land regieren. Denn spätestens dann werden sich die unzufriedeneren Wähler mit ihren unrealistischen Erwartungen ein neues Ventil suchen.

Christoph Seils leitet die Online-Redaktion des Magazins Cicero. In diesem Jahr erschien sein Buch „Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien?“im WJS-Verlag. Er schreibt an dieser Stelle wöchentlich über die deutsche Parteienlandschaft.

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