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Der türkische Ministerpräsident Erdogan.

© Reuters

Gastkommentar: Die Türkei auf Konfrontationskurs

Ankara legt sich im Mittelmeer nicht nur mit Israel und der Republik Zypern an, sondern unter anderen auch mit der EU. Günter Seufert von der Stiftung Wissenschaft und Politik erläutert die Hintergründe dieses Verhaltens.

Die Türkei hat angekündigt, fortan die „Freiheit der Schiffahrt“ im Mittelmeer zu garantieren: „Höchste Zeit für einen Flugzeugträger“ zitiert entsprechend die Istanbuler Nachrichtenagentur İhlas den früheren Marine-Kommandeur Salim Dervişoğlu. Der Schritt richtet sich gegen Tel Aviv. Israels Regierung will sich nicht für die Tötung von neun türkischen Aktivisten entschuldigen, die vor einem Jahr im Rahmen einer internationalen Flotte die Seeblockade des Gazastreifens zu durchbrechen versuchten. Anfang September hat nun ein unter Federführung des früheren neuseeländischen Premiers Geoffrey Palmer erstellter UN-Bericht die Aktion Israels als „übermäßig und unbillig“ verurteilt und festgestellt, Israel habe „für keinen der Todesfälle eine befriedigende Erklärung vorgelegt“. Zugleich wird jedoch die Seeblockade des Gazastreifens als „legitime Sicherheitsmaßnahme“ eingestuft. Gerade im östlichen Mittelmeer zeigt die Türkei jetzt verstärkte militärische Präsenz.

Auf die türkische Marine warten indes noch andere Aufgaben. Ab dem 1. Oktober will die texanische Firma Nobel Energy im östlichen Mittelmeer Bohrungen zur Exploration eines Erdgasfeldes vornehmen. Das Feld liegt in der exklusiven Wirtschaftszone der Republik Zypern, die sich Nikosia durch Abkommen mit dem Libanon, Ägypten und zuletzt Israel gesichert hat. Die Türkei  reklamiert die Rechte der türkischen Zyprioten an der Ausbeute und erkennt darüber hinaus die Republik Zypern und die von ihr geschlossenen Verträge nicht an.

Auch hier droht die Türkei damit, ihre Kriegsschiffe einzusetzen. Schon im November vor drei Jahren hat Ankara ein Forschungsschiff aus Norwegen aus gleichem Grund bedrängt. Als Reaktion auf die neue Drohung hat der Präsident der griechischen Republik Zypern jetzt die Nationalgarde mobilisiert. Griechenland betrachtet jede türkische Aktion gegen Zypern als Angriff auf sich selbst. Und auf griechischen, zypriotischen und türkischen Nachrichtenwebsites heißt es, Russland bereite die Entsendung zweiter atomgetriebener U-Boote vor. Auf die USA kann Ankara sich in dieser Frage nicht verlassen. Initiativen der Türkei in Washington, die Firma Nobel Energy zu stoppen, blieben ohne Erfolg.

Warum der angekündigte Kontaktabbruch zur EU beispiellos ist, erfahren Sie auf der nächsten Seite.

Selbst mit der Europäischen Union geht Ankara auf Konfrontationskurs. Wenn am 1. Juli 2012 die EU-Ratspräsidentschaft an Nikosia übergeht, will die Türkei für die betreffenden sechs Monate ihre Beziehungen mit der EU einfrieren. Sollte sich in der Zypernfrage zudem nicht bis Ende diesen Jahres eine Lösung abzeichnen, kündigte Premier Recep Tayyip Erdogan an, werde Ankara sich dort alle Schritte offenhalten und um eine internationale Anerkennung des türkischen Ministaates im Inselnorden werben.

Was bringt die Türkei dazu, derart viele Staaten, einige davon eigentlich gute Partner, derart anzugehen? Ist die Regierung generell auf einen außenpolitischen Konfrontationskurs gewechselt oder kulminieren nur zeitgleich die Spannungen in verschiedenen Bereichen? Das Bild ist widersprüchlich.

So ist der angekündigte Kontaktabbruch zur EU durch einen Beitrittskandidaten sicher beispiellos. Andererseits aber setzt Ankara damit nur konsequent seine Zypernpolitik seit dem Scheitern des Annan-Plans aus dem Jahr 2004 fort: Würde die Türkei die Republik Zypern anerkennen, müsste sie sich selbst als Besatzungsmacht eines EU-Staates fühlen. Die Weigerung, die Zollunion auf dieses Land auszudehnen, sowie Häfen und Flughäfen für Transportfirmen aus Nikosia zu öffnen, gehören genau so zu dieser Politik, wie die strikte Ablehnung aller Vorschläge, sich im Rahmen von EU-NATO-Konsultationen mit Nikosia an einen Tisch zu setzen. Auch kommt die Drohung mit dem Kontaktabbruch erst acht Jahre nachdem die griechischen Zyprioten den Einigungsplan Kofi Annans abgelehnt haben. In dieser Zeit wiederum hat Nikosia den Beitrittsprozess der Türkei nach Kräften boykottiert, und die EU hat ihr Unvermögen demonstriert, Zusagen zur Beendigung der wirtschaftlichen Isolierung der Zyperntürken einzulösen.

Ankara sieht sich selbst in der Defensive. Warum, erfahren Sie auf der nächsten Seite.

Der Streit um exklusive Wirtschaftszonen geht ebenfalls bereits ins fünfte Jahr. Die türkisch-griechische Auseinandersetzung über die Festlandssockel in der Ägäis und der Zypernkonflikt haben bisher den Beitritt der Türkei zum Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen sowie Abkommen über exklusive Wirtschaftszonen im Mittelmeer mit anderen Anrainerstaaten verhindert. Zwar heißt es dazu auf türkischer Seite, als „Anrainerstaat mit der längsten Küste im östlichen Mittelmeer“ habe man das Recht auf eine 200 Kilometer tiefe, exklusive Wirtschaftszone, deren konkrete Begrenzung mit den anderen Anrainerstaaten auszuhandeln sei. Doch bisher fand sich niemand zum Verhandeln. Damaskus ist durch die Umwälzungen in Syrien derzeit kein verlässlicher Partner. Und seit im Jahr 2008 der Gazakrieg den Bruch zwischen Tel Aviv und Ankara einleitete, nimmt Israel immer weniger Rücksicht auf die Interessen der Türkei: Im Dezember 2010 verständigten sich Tel Aviv und Nikosia auf die Grenze zwischen ihren exklusiven Wirtschaftszonen. Trotz scharfer türkischer Proteste erkannten die EU und Washington dieses Abkommen unverzüglich an.

Vor diesem Hintergrund muss die Beurteilung der israelischen Blockade des Gazastreifens durch den jüngsten UN-Bericht gewertet werden, argumentiert man in regierungsnahen türkischen Kreisen. Um nicht wirtschafts-, energie-  und ordnungspolitisch aus dem Mittelmeer verbannt zu werden, müsse die Türkei jetzt endlich Flagge zeigen.

Diese defensive Begründung für das Säbelrasseln wird jedoch durch den Charakter des Palmer-Berichts konterkariert. Dieser sollte keine juristisch verbindliche Einschätzung der Vorgänge im vergangenen Jahr vornehmen, sondern den Rahmen für eine politische Lösung abstecken. Auf juristische Fragen hatte sich der bereits am 27. September 2010 veröffentlichte Bericht des UN-Menschenrechtsrats konzentriert und Israel mit harschen Worten kritisiert. Hat die Türkei den Palmer-Bericht nur als Legitimation für eine ohnehin geplante verstärkte militärische Präsenz im Mittelmeer benutzt? Jedenfalls schrieb Außenminister Ahmet Davutoğlu schon vor fünf Jahren: „Eine Türkei, die Regionalmacht werden will, muß ihren politischen und wirtschaftlichen Einfluss auf die Wasserwege von der Ägäis in die Adria und vom Suez-Kanal in den Persischen Golf aufbauen.“

Günter Seufert forscht an der Stiftung Wissenschaft und Politik zur türkischen Innen- und Außenpolitik. Die Stiftung berät Bundestag und Bundesregierung in allen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik. Der Beitrag erscheint auf der SWP-Homepage in der Rubrik „Kurz gesagt“.

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