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Günter Grass hat erneut ein Gedicht mit aktuellem politischen Bezug geschrieben.

© dpa

Gastkommentar: Günter Grass: Der Geldregentanz des Blechtrommlers

Unser Gastautor fühlt sich bei Günter Grass' neuerlichem Versuch, Aufmerksamkeit zu erregen, an Ralph Siegel erinnert. Doch in den Bemühungen um Geld für Griechenland reicht lautes Trommeln nicht aus.

Wenn ein deutscher Blechtrommler mythologische Geldregentänze für dürstende Rosen in Athen vollführt, kann das nur wie in "Europas Schande" klingen. Günter Grass, Wutlyrik 2012, die Zweite. Sieben Wochen nach "Was gesagt werden muss", seiner international beachteten Abrechnung mit Iran, Israel und dem Rest der Welt, ist dem 84jährigen offenbar aufgefallen, dass er Griechenland vergessen hat. Die Süddeutsche Zeitung nimmt abermals gern, was sie vom Literaturnobelpreisträger Grass bekommen kann. Vielerorts fragt man mitleidig, was ihm noch so alles einfallen mag. Schon jetzt erinnert Grass an Ralph Siegel, der seit 30 Jahren versucht, an seinen Grand-Prix-Erfolg "Ein bisschen Frieden" anzuknüpfen. Was der Dichter vor zwei Monaten der Welt schenkte, hätte leicht auch diesen Titel tragen können. Ob das von "Europas Schande" getoppt werden kann, darf bezweifelt werden. Doch wie Siegel müht sich Grass redlich und zieht alle Register:

"Dir trotzend trägt Antigone Schwarz" schreibt er. Antigone, die Tochter von Iokaste und ihrem Sohn Ödipus, die dem Himmel näher stand als den Menschen und den Selbstmord dem Hungertod vorzog. Grass bemüht Sokrates, Krösus, den Olymp, die Götter. Mehr geht nicht. 12 mal zwei Zeilen. 24. Murrend. Mahnend. Mystisch. Das griechische Alphabet hat 24 Buchstaben. Der biblische Götterrat zählt 24 Älteste. 24 Stunden hat der Tag und es vergeht nicht eine, in der der graue Rote aus dem Abendland nicht für Geldregen in Griechenland trommelt. Das donnert gewaltig und bedrohlich in alle Richtungen des Kontinents: "Geistlos verkümmern wirst Du ohne das Land, dessen Geist Dich, Europa, erdachte."

Der Rest des Gedichts bewegt sich, leger interpretiert, zwischen "Die anderen sind schuld",  "Hört bloß mit dem Sparen auf" und "Nehmt denen nicht den Euro weg". Grass sagt es nur poetischer und ignoriert die Fakten. Er verdichtet den mürben Koloss um Rhodos zu 24 Satzbausteinchen. Der Dichter darf sowas. Es ist das Recht eines Dichters, die Welt zu beschreiben, wie der Dichter sie sieht. Wie er sie sich wünscht. Ungeachtet der Realitäten, ungeachtet der Gesetze, des Marktes, der Großwetterlage. Er kann den Regen dafür anklagen, dass die Rosen nicht wachsen. Doch lösen wir das poetische Bild auf! Nennen wir Griechenland beim Namen, nein, Grass zu Ehren soll es fortan Oskar heißen. "Etwa im 4000. Lebensjahr stürzte Oskarchen in eine Tiefe Depression und wollte von da an nicht mehr wachsen - nicht ein Zentimeterchen." Das sollte den Blechtrommler an etwas erinnern. Man muss wollen. Man muss alles tun. Mehr als trommeln. Mehr als dichten. Sonst bleibt man klein. Aber klein kann man auch leben und eines Tages groß rauskommen.

Matthias Schumacher, Jahrgang 1976, lebt und arbeitet seit 1998 als Autor und Journalist in Berlin. Er polemisiert, philosophiert und poetisiert das Zeitgeschehen vor allem in Online-Medien und Blogs, für die er auch Interviews mit prominenten Zeitgenossen führte. Im Herbst 2011 veröffentlichte er ein eBook mit eigener Lyrik und schreibt zurzeit neben aktuellen Kommentaren an einem Roman über den Ersten Weltkrieg.

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