zum Hauptinhalt

Gastkommentar: Ist die NSU wirklich eine Terrororganisation?

Die Morde des selbst ernannten "Nationalsozialistischen Untergrunds" waren rassistisch motiviert. Ob die Gruppierung aber als Terrornetzwerk anzusehen ist, ist fraglich und könnte die Heroisierung der Täter fördern.

Der Schock sitzt tief. Eine Gruppe Neonazis hat über ein Jahrzehnt hinweg unentdeckt schwerste Verbrechen begangen und die deutschen Sicherheitsbehörden wussten bis vor zwei Wochen nicht einmal von der Existenz dieser Organisation. Seit dem wird in einem fast panischen politischen Wettbewerb versucht, Antworten auf viele drängende Fragen geben zu wollen. Kurzum wurde der selbst ernannte Nationalsozialistische Untergrund (NSU) zur Terrororganisation erklärt, die Sicherheitsarchitektur Deutschlands soll weiter zentralisiert, die Kooperation zwischen den Behörden intensiviert, V-Leute der Verfassungsschutzämter abgeschaltet und die NPD verboten werden. Was von all dem wirklich sinnvoll und notwendig ist, kann jedoch seriöserweise erst beantwortet werden, wenn die Ermittlungen abgeschlossen und die Fakten bekannt sind.

Zu den vielen wichtigen Fragen, die erst noch geklärt werden müssen, gehört, ob die NSU überhaupt als Terrororganisation bezeichnet werden sollte. Die Unterscheidung, ob es sich um eine (pseudo-politische) Mörderbande oder um eine rechtsextreme Terrororganisation handelt ist deshalb wichtig, weil die Reaktion des Staates je nach Feststellung anders ausfallen muss und wird. 

Terrorismus ist eine extreme Art der politischen Kommunikation. Terroristen, egal welcher Couleur, versuchen durch Forderungen, Drohungen und Anschläge auf Zivilisten politische Ziele zu erreichen. Die so genannte Bekenner-DVD der NSU wirft jedoch mehr Fragen auf, als das sie Antworten gibt. Warum wurde die DVD, die sich auf Anschläge, Morde und Banküberfälle aus dem Zeitraum der Jahre 2000 bis 2007 bezieht und im Dezember 2007 erstellt wurde, erst nach dem Selbstmord der zwei NSU-Mitglieder versandt? Zwischen der Erstellung der DVD und ihrer Veröffentlichung in der vergangenen Woche liegen also vier Jahre, in denen die NSU sich anscheinend ausschließlich auf Banküberfälle konzentriert hat. Hätte die Gruppe weiter im Verborgenen operiert, wenn sie nicht auf der Flucht nach dem Banküberfall am 04. November 2011 entdeckt worden wäre? Warum gibt es, bis auf den kurzen allgemeinen Hinweis, man wolle „Änderungen in der Politik, Presse und bei der Meinungsfreiheit“,  in dem 15-minütigen Video keine konkreten politischen Forderungen?

Ist die NSU also eine Terrororganisation, die ihre Taten eigentlich verheimlichen will und keine Forderungen stellt? Das wäre nicht nur ein Widerspruch in sich, sondern gänzlich wirkungsloser Terror. 

Klar scheint zu sein, dass neun der zehn bekannten Morde rassistisch motiviert waren. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) bezeichnet Verbrechen, die durch Intoleranz gegen bestimmte Gruppen in der Gesellschaft motiviert sind, als „Verbrechen aus Hass“ (hate crimes).  Viele europäische Länder, darunter Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien haben gesetzliche Regelungen, die Verbrechen aus Hass (z.B. aufgrund von Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Religion) sichtbar machen und zusätzlich bestrafen.

Das NSU-Bekenner-Video zeigt genau diesen Hass der Täter auf die Opfer. Die gewählte Darstellungsform als Paulchen Panther-Zeichentrickfilm, soll diese auch noch verhöhnen.

Sollte am Ende der Ermittlungen doch herauskommen, dass  es sich beim NSU doch um ein Terrornetzwerk handelt, so ist eine weitreichende Veränderung der seit über 50 Jahren insgesamt erfolgreich arbeitenden deutschen Sicherheitsarchitektur zu erwarten. Dabei wäre mit einer weiteren Zentralisierung der Behörden, eine Ausweitung ihrer Befugnisse und der damit verbundenen Einschränkung der Bürgerrechte aller zu rechnen. Eine offiziell-staatliche Einordnung der Mitglieder der NSU als Terroristen und Staatsfeinde würde diese zudem innerhalb der gewaltbereiten rechten Szene heroisieren und ihre Verklärung  als „Kämpfer für das Vaterland“ befördern.

Spricht man der NSU jedoch das Politische ab und erklärt sie zu einer Organisation, deren Mitglieder maßgeblich von Hass, der Lust am Töten und vom Adrenalinkick bei Banküberfällen getrieben werden, dann wird es nach sorgfältiger Aufarbeitung der Fakten und der begangenen Ermittlungsfehler möglicherweise ebenfalls einige rechtliche oder organisatorische Veränderungen geben. Aber eben im notwendigen Ausmaß und an den tatsächlichen Versäumnissen orientiert.

Alexander Ritzmann ist Gastwissenschaftler am Brandenburgischen Institut für Gesellschaft und Sicherheit in Potsdam.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false