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Auf den früheren Finanzminister Yoshihiko Noda (links) warten schwere Aufgaben.

© dpa

Gastkommentar: Japan: Neuer Premier, alte Probleme

Dem Land droht die Staatsschuldenkrise, sagt Hanns Günther Hilpert von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Auch wenn sich Yoshihiko Noda offenbar gewillt zeigt, Japans massive Struktur- und Finanzprobleme anzugehen.

Innerhalb von nur fünf Jahren hat Japan mit Yoshihiko Noda nun seinen sechsten Premierminister. Wie sein Vorgänger Naoto Kan ist Noda Reformer und fiskalpolitischer Falke, doch anders als Kan gilt der frühere Finanzminister als umgänglicher Teamplayer. Insofern könnte es dem neuen Regierungschef etwas besser als seinem Vorgänger gelingen sich durchzusetzen.

Man kann ihm dies nur wünschen: Nach Erdbeben und Nuklearkatastrophe steckt Japan den Worten Kans zufolge „in der schlimmsten Krise seit dem Krieg“. Auf Japans neuen Premierminister warten wahrhaft schwierige Aufgaben: Der Wiederaufbau und die Wiederherstellung der Energieversorgung sind ins Stocken geraten. Sowohl in der Energie- als auch in der Finanzpolitik wird Japan einen Kurswechsel vornehmen müssen. In der Wirtschafts- und Sozialpolitik lassen sich die notwendigen Reformen kaum noch aufschieben. Und gegenüber einem immer machtvoller auftrumpfenden China gilt es Japans Interessen zu wahren.

Es ist wahrscheinlich, dass der frühere Finanzminister Noda seine Priorität auf die Haushaltskonsolidierung legen wird. Als einziger der sechs Kandidaten schloss Noda nicht aus, die im Volk verhasste Konsumsteuer von derzeit fünf Prozent auf acht oder gar zehn Prozent anzuheben. Diese Maßnahme wäre dringend erforderlich, denn Ausgabenkürzungen alleine werden nicht zu einem ausgeglichenen Haushalt zurückführen und den mittelfristig drohenden Staatsbankrott abwenden.

Nach Schätzungen des Internationalen Währungsfonds werden Japans Staatsschulden bis zum Ende des Jahres auf einen Bruttoanteil von 230 Prozent gemessen am Bruttoinlandsprodukt angestiegen sein. Bereits seit zwei Jahren liegt die Schuldenaufnahme über den Steuereinnahmen, die zusätzlichen Ausgaben nach Erdbeben und Tsunami vom 11. März haben das Haushaltsdefizit weiter vergrößert.

In Japan tickt eine fiskalische Zeitbombe

Derzeit hat Japan zwar noch keine Probleme bei der Refinanzierung, da die Staatsverschuldung eine nahezu reine Inlandsverschuldung ist. Doch hier tickt eine fiskalische Zeitbombe: Aufgrund des demographischen Wandels werden die inländischen Ersparnisse in wenigen Jahren nicht mehr zur Finanzierung der öffentlichen Defizite ausreichen, so dass Japan von ausländischen Kreditgebern und damit auch vom Urteil der internationalen Finanzmärkte abhängig würde. Zuspitzen könnte sich die die Lage sogar schon früher, wenn Zinsen und Rendite ihre derzeit historisch niedrigen Werten von 1,2 Prozent verlassen würden. Eine Spirale aus steigenden Zinsen und Schulden könnte dann in einer Staatsschuldenkrise münden.

Wie es mit Japans Wirtschaft weitergeht, lesen Sie auf Seite 2

Auch in der Handelspolitik hat sich Yoshihiko Noda festgelegt. Japan wird – wie schon die USA – Verhandlungen zum Beitritt zum Transatlantischen Partnerschaftsabkommen beginnen. Japans Wirtschaft soll am Wachstum der pazifischen Märkte stärker partizipieren und sich aus der ökonomischen Stagnation der vergangenen 20 Jahre befreien. Ein erfolgreicher Verhandlungsabschluss wird aber nur mit substantiellen Liberalisierungs- und Marktöffnungsmaßnahmen zu erreichen sein. Japan wird also drastische Strukturreformen durchführen müssen. Die kritischen Themen sind der hochsubventionierte Agrarsektor, die durch Regulierung und Geschäftspraktiken abgeschotteten Branchen (zum Beispiel Bau, Transport, Energie) und die öffentlichen Beschaffungen.

Nodas frühzeitige handelspolitische Positionierung ist auch aus europäischer Sicht ein wichtiges Signal. Denn Japan und die EU stehen ebenfalls vor der Aufnahme von Verhandlungen für ein Freihandelsabkommen. Und vielleicht kann ein liberal gesinnter Premierminister die europäischen Zweifel zerstreuen, dass Japan es mit den erforderlichen Marktöffnungen nicht ernst meinen könnte.

Nodas Reformpolitik wird auf mächtige Widerstände treffen

Anders als in der Wirtschaftspolitik hat sich Yoshihiko Noda in der Atom- und Energiepolitik nicht profiliert. Bekannt ist nur, dass er gegenüber der Atomenergie weit weniger kritisch ist als sein Vorgänger. So ist zu erwarten, dass die nach dem Erdbeben abgeschalteten Atomkraftwerke bald wieder hochgefahren werden – im schwierigen Einvernehmen mit den Kommunen und lokalen Präfekturen. Eine Rückkehr zum Status quo ante kann es aber nicht geben, auch wenn Teile der Elite aus Politik und Wirtschaft dies noch nicht begriffen haben.  Japans Öffentlichkeit, die laut Umfragen zu 70 Prozent einen Atomausstieg befürwortet, erwartet zumindest schärfere Sicherheitsstandards, eine unabhängige und verlässliche Atomaufsicht sowie überzeugende Katastrophenpläne. Darüber hinaus steht Japans Energiepolitik vor einem grundsätzlichen Kurswechsel. Während die ambitionierten Atom-Ausbaupläne vom Tisch sind und Japan eine verstärkte Abhängigkeit von Öl und Gas vermeiden wird, können nur die regenerativen Energien zur neuen Säule der Energieversorgung werden.

Nodas Konsolidierungs- und Reformpolitik wird auf mächtige Widerstände treffen und es ist heute eine offene Frage, ob er den notwendigen Kurswechsel wird umsetzen können. Auf jeden Fall wird es der neue Premierminister mit den gleichen mächtigen Widersachern zu tun haben wie sein Vorgänger: Erstens fordert die Opposition Neuwahlen und verweigert sich einer großen Koalition, kann aber durch die eigene Mehrheit im Oberhaus alle Haushaltsgesetze blockieren. Zweitens lehnen die Traditionalisten in Nodas eigener Partei Reformen ab. Diese Gruppe unter der Führung des früheren Parteichefs und „Schatten-Shoguns“ Ichiro Ozawa würde am liebsten zu einer expansiven Fiskalpolitik zurückkehren, die großzügig Raum für Wahlgeschenke an die eigene Klientel lässt. Eine solche Politik fordern auch – drittens – die zahlreichen Interessensgruppen aus dem Agrarsektor, den Regionen und der Wirtschaft. Viertens fürchtet die  Ministerialbürokratie, Einfluss und Ausgabenspielräume zu verlieren, sollten Offenheit, Transparenz und Sparsamkeit neue Maximen der Politik werden.

Am meisten fürchten aber muss Yoshihiko Noda die japanische Öffentlichkeit. Spätestens wenn die demoskopische  Zustimmung für einen Premierminister unter die 25-Prozent-Schwelle fällt, steht er auf Abruf. Seine Pläne die Konsumsteuer zu erhöhen, werden ihn rasch in diese Bereiche führen.

Hanns Günther Hilpert ist stellvertretender Leiter der Forschungsgruppe Asien an der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Die Stiftung berät Bundestag und Bundesregierung in allen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik. Der Beitrag erscheint auf der SWP-Homepage unter der Rubrik "Kurz gesagt". http://www.swp-berlin.org/de/kurz-gesagt.html

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