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Gastkommentar: Kiffen für Kalifornien

Marihuana ist weniger gefährlich als Alkohol. Die von konservativen Politikern beschworene Kriminalisierung muss neu bewertet werden.

Im Schatten der US-Kongresswahlen haben die Kalifornier einen zweiten Wahlkampf ausgetragen. Im bevölkerungsreichsten Bundesstaat wurde gleichzeitig über eine Frage abgestimmt, die für das Mutterland der Hippiebewegung eine echte Herzensangelegenheit ist: die Legalisierung von Marihuana. Umfragen zufolge war eine knappe Mehrheit dafür, Haschisch und andere Produkte der indischen Hanfpflanze als legale Drogen wie Alkohol und Zigaretten zu behandeln. Doch auch wenn das Volksbegehren gescheitert ist, müssen die von konservativen Politikern beschworenen medizinischen Gefahren und die Kriminalisierung der mindestens fünf Millionen Potraucher in den USA neu bewertet werden.

Aus medizinischer Sicht gibt es keinen Grund, Cannabisprodukte rechtlich anders zu behandeln als Alkohol oder Zigaretten. Der Hauptwirkstoff Tetrahydrocannabinol (THC) ist kaum toxisch, im Gegensatz zu anderen Betäubungsmitteln und Alkohol kommen tödliche Vergiftungen nicht vor. Im Vergleich zu Alkohol und Nikotin hat THC auch deutlich weniger Suchtpotenzial. Während für schwere Alkoholiker, ebenso wie bei Heroinabhängen, das plötzliche Absetzen der Droge lebensgefährlich sein kann, sind körperliche Entzugserscheinungen bei Cannabis selten und viel schwächer ausgeprägt.

Bei intensivem, langjährigem Konsum kann Cannabis zwar zu Konzentrationsstörungen, Schlaflosigkeit, Intelligenzminderung und einem allgemeinen Verfall der Persönlichkeit führen. Die medizinischen und wirtschaftlichen Folgen des Nikotin- oder Alkoholmissbrauches sind jedoch um ein Vielfaches gravierender. Auch soziale Enthemmung und gesteigerte Gewaltbereitschaft, die beim Alkohol erhebliche Kollateralschäden verursachen, sind bei Cannabis unbekannt. Allerdings ist die Tatsache, dass Alkohol, Nikotin und (legaler) Medikamentenmissbrauch nicht zurück in die Büchse der Pandora zu drängen sind, noch lange kein Argument für die Legalisierung einer weiteren Droge. Untersuchungen in den Niederlanden deuten darauf hin, dass insbesondere Jugendliche vermehrt Haschisch konsumieren, wenn der Zugang dazu erleichtert wird. Gerade die neuen, hochgezüchteten Hanfsorten mit einem bis zu zehnfach höheren THC-Gehalt sind für Kinder und Jugendliche besonders gefährlich.

Viele Amerikaner wollen jedoch nicht hinnehmen, dass Alkohol und Nikotin Gesellschaftsdrogen sind, während Cannabis-Connaisseure in ihren Bürgerrechten eingeschränkt werden. Die Protestbewegung hat bereits dazu geführt, dass Haschisch in Kalifornien und 14 weiteren Bundesstaaten in privaten Verkaufsstellen auf Rezept erhältlich ist. Als medizinische Indikationen sind nicht nur Krebs und andere schwere Erkrankungen, sondern etwa auch Kopfschmerzen und Schlafstörungen anerkannt. Dementsprechend sind die würzigen Schwaden des „Medical Marijuana“ auf jedem Open-Air-Konzert im sonnigen US-Bundesstaat zu riechen.

Warum ein „Medikament“ unbedingt im pflanzlichen Rohzustand geraucht, in Keksen verbacken oder als Tee gebrüht werden muss, kann allerdings niemand erklären. Genauso abwegig wäre es, statt Morphium rohes Opium in der Apotheke zu verkaufen. Für reines THC in Kapselform, das auch in Deutschland als Medikament zugelassen ist, gibt es erstaunlicherweise kaum Bedarf.

Weil die medizinische De-facto-Freigabe amerikanischem Bundesrecht widerspricht, müssen Dealer sich allerdings auch in Kalifornien vor der Bundespolizei FBI fürchten. Noch mehr als diese Gängelung ärgert viele Kalifornier, dass der klamme „Golden State“ keine Steuern auf Cannabis erheben kann, solange es nicht allgemein legalisiert wird. Zugleich verschlingt die Festnahme und Inhaftierung zehntausender Haschdealer Millionen Dollar, die in der Drogenprävention besser investiert wären.

Statt des bigotten Scheinverbots wäre eine Freigabe von Cannabis für Volljährige die bessere Lösung. Auch für den Jugendschutz und die Aufklärungsarbeit würde die Entkriminalisierung der sanften Droge eine deutliche Erleichterung bedeuten. Man darf also gespannt sein, wie das Mutterland der Hippies in dieser Frage entschieden hat.

Der Autor ist Mikrobiologe und Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle.

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