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Gastkommentar: Libyen nach Gaddafi: Wenig Einfluss für Externe

Nato und EU diskutieren bereits über die zukünftige Rolle Libyens. Dabei besteht die wirkliche Herausforderung für die Bündnispartner darin, sich nach dem Sturz Gaddafis zurückzuziehen, sagen Annegret Bendiek und Wolfram Lacher von der Stiftung Wissenschaft und Politik.

Der Militärapparat Muammar al Gaddafis ist geschwächt, doch der Ausgang des Krieges in Libyen ist noch nicht absehbar. Außer einer militärischen Niederlage oder dem Kollaps des Regimes könnte es zu einer Verhandlungslösung kommen – die jedoch ohne einen Rückzug Gaddafis und seiner Familie unwahrscheinlich ist. Möglicherweise folgen auf einen Sturz des Diktators auch weitere Auseinandersetzungen um die Machtbeteiligung. Dennoch ist es richtig, dass bereits über die internationale Rolle im Post-Gaddafi-Libyen debattiert wird. Allerdings sollte bei dieser Diskussion der Einfluss externer Akteure nicht überschätzt werden.

Erst kürzlich forderte NATO-Generalsekretär Rasmussen von den Vereinten Nationen entsprechende Pläne, hohe NATO-Vertreter wollen konkret eine Peacekeeping-Truppe der Vereinten Nationen (VN) für die Übergangsphase nach dem Sturz Gaddafis, und Außenminister Westerwelle und Verteidigungsminister de Maiziere haben zugesagt, eine deutsche Beteiligung zu prüfen. Dabei wäre eine Blauhelm-Präsenz in Libyen nur bedingt sinnvoll: einmal für den Fall eines Waffenstillstandes zwischen den Konfliktparteien, dessen Überwachung durch eine Friedenstruppe von beiden Seiten akzeptiert wird. Eine solche Situation ist aber weder im Interesse der Opposition, noch Gaddafis, und deshalb kaum zu erwarten.  Für den Fall, dass eine Übergangsregierung nach dem Sturz Gaddafis die Sicherheitslage nicht schnell unter ihre Kontrolle bringen kann, wäre eine Blauhelm-Mission ebenfalls denkbar. Jedoch stünde dann der Aufbau des neuen Staates unter internationaler Aufsicht – und der nationale Übergangsrat in Bengasi hat bereits sehr deutlich gemacht, selbst den Transitionsprozess steuern zu wollen.

Aber auch in anderen Bereichen haben bei den VN die Planungen für die Stabilisierung und den Wiederaufbau des Landes begonnen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat hier eine deutsche Unterstützung der Polizeiausbildung sowie bei der Instandsetzung des Stromnetzes ins Spiel gebracht. Nachdem sich Deutschland bei der Libyen-Resolution im VN-Sicherheitsrat enthalten hatte, ist die Intention der Bundesregierung jetzt begrüßenswert, auf Frankreich und Großbritannien zuzugehen. Bestenfalls kommt es hier wieder zum Schulterschluss der EU-3, und Deutschland kann sich als verlässlicher internationaler Bündnispartner zeigen.

Weiter auf Seite 2: Eine Regierung nach Gaddafi wird schnell finanziell wie politisch unabhängig sein.

Die EU hat bereits im Rahmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik mehrere Milliarden Euro zur Unterstützung der Transitionen in Libyen, Ägypten und Tunesien zugesagt, für deren Verwaltung in Brüssel die Task Force for the Mediterranean eingerichtet worden ist. Doch wer hier annimmt, externe Akteure würden bei der Bildung des neuen libyschen Staates eine ähnlich wichtige Rolle spielen wie im andauernden Konflikt, liegt falsch. Externe Unterstützung sollte zwar angeboten werden, doch sind die Aussichten gering, damit die politischen Entwicklungen entscheidend beeinflussen zu können. Denn nach dem Sturz Gaddafis wird eine neue Regierung schnell finanziell und damit auch politisch unabhängig werden. Ein Ende des Regimes würde die rechtlichen Hindernisse für die Freigabe von im Ausland eingefrorenen rund fünfzig Milliarden US-Dollar beseitigen, und entsprechend der Sicherheitslage könnten auch die Erdölexporte wieder aufgenommen werden.

In der Tat aber wird Libyen nach einem Sturz Gaddafis vor enormen Herausforderungen stehen. Im Nationalen Übergangsrat sind die Vertreter des Nordostens überrepräsentiert; wollen der Rat und eine künftige Regierung die Transition steuern, werden sie ihre Zusammensetzung stark ändern müssen – ein Prozess, der Potenzial für Spannungen birgt. Da Gaddafis Libyen keine Verfassung besitzt und ein Großteil der alten Institutionen hinfällig ist, wird die Aufgabe in nichts weniger als der Bildung eines neuen Staates bestehen.

Nato- und EU-Staaten wollen diesen Prozess beeinflussen, da sie aufgrund ihres militärischen Eingreifens ein starkes Interesse und Verantwortungsgefühl für den weiteren Verlauf der Transition haben. Entwickelt sich das Post-Gaddafi-Libyen nicht in ihrem Interesse, könnten sich die Regierungen zudem dem Wählervorwurf ausgesetzt sehen, sich auf ein kostspieliges, aber gescheitertes Abenteuer eingelassen zu haben. Erkennbar ist das etwa, wenn der britische Außenminister Hague den Nationalen Übergangsrat auffordert, einen detaillierten Plan für die Übergangsphase darzulegen. Dieser Ansatz ist problematisch, auch deshalb, weil zahlreiche Akteure, die an der Übergangsphase beteiligt werden müssen, bisher kriegsbedingt nicht im Rat vertreten sind.

Weiter auf Seite 3: Das Dilemma der Responsibilty to Protect.

Überhaupt sollten die intervenierenden Staaten der Versuchung widerstehen, in die Regierungsbildung nach dem Sturz Gaddafis einzugreifen. Dies könnte den Übergangsprozess diskreditieren, denn das traditionell in Libyen herrschende große Misstrauen gegenüber externen, und insbesondere westlichen, Interessen dürfte die Ära Gaddafi überdauern. Die prowestliche Haltung des Übergangsrates dagegen ist seiner gegenwärtigen Zwangslage geschuldet. Sowohl eine politische Lösung des Konfliktes als auch die nach Gaddafis Abgang zu erwartenden Machtkämpfe werden externer Vermittlung bedürfen – nicht aber externer Versuche, die zukünftigen führenden Akteure zu bestimmen.   Ein weiteres Risiko ist, dass oppositionelle Verbände und Milizen in den letzten Tagen des Konfliktes Vergeltung an ehemaligen Unterstützern Gaddafis üben könnten. Damit sähen sich die NATO und die am Einsatz beteiligten Staaten zu einer Gratwanderung zwischen dem Schutz von Zivilisten und der Intervention in den politischen Prozess gezwungen. Dieses Risiko sollte insofern minimiert werden, als dass man auf die Opposition Einfluss nimmt, solange man diesen noch besitzt – also während der Konflikt andauert.

Letztlich zeigt diese Situation auch ein Dilemma der Responsibility to Protect (R2P), die in der VN-Resolution mit als Grundlage für den Einsatz dient. Für viele Interpreten der R2P besteht die Doktrin aus drei Säulen: Verantwortung zur Prävention, zur Reaktion und in einem dritten Schritt die Verantwortung zum Wiederaufbau. Libyen zeigt, wie problematisch aber dieser dritte Schritt sein kann. Die Herausforderung für die momentan stark in Libyen involvierten Staaten wird deshalb nach dem Sturz Gaddafis vor allem darin bestehen, sich zurückzuziehen und den Prozess der libyschen Selbstbestimmung zu respektieren.

Annegret Bendiek ist stellvertretende Leiterin der Forschungsgruppe EU-Außenbeziehungen an der Stiftung Wissenschaft und Politik. Wolfram Lacher forscht an der SWP unter anderem zu Libyen. Die Stiftung berät Bundestag und Bundesrat in allen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik, der Artikel erscheint auf der SWP-Homepage unter der Rubrik „Kurz gesagt“.

Annegret Bendiek, Wolfram Lacher

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