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Gastkommentar: Nordkaukasischer Teufelskreis

Vor dem Hintergrund des Anschlags auf den Moskauer Flughafen fordert Uwe Halbach von der Stiftung Wissenschaft und Politik mehr Interesse der europäischen und deutschen Außenpolitik für das gestörte Verhältnis Russlands zu seiner kaukasischen Peripherie.

Zwei Wochen nach dem Anschlag auf den Moskauer Flughafen Domodedowo hat sich nun Doku Umarow, der tschetschenische Untergrundpräsident und Führer des ominösen „Kaukasischen Islamischen Emirats“, zu dem Attentat mit 37 Todesopfern bekannt. Was zunächst nur vermutet wurde, ist jetzt bittere Gewissheit. Der Terror aus dem Nordkaukasus ist nach den Anschlägen auf die Moskauer Metro im März 2010 und den Schnellzug Moskau-St.Petersburg im November 2009 ein weiteres Mal über Russland hereingebrochen, und Umarow kündigt weitere Selbstmordanschläge an. Bisher findet die russische Regierung auf diese Herausforderung keine adäquate Antwort. Das gestörte Verhältnis Russlands zu seiner kaukasischen Peripherie geht auch europäische und deutsche Ostpolitik an

Der Nordkaukasus mit seinen sieben Teilrepubliken hat sich zu Russlands „innerem Ausland“ und einer Gewalt-und Notstandszone am Rande Europas entwickelt. Ethnische Russen haben die Region weitgehend verlassen. Die Migration von Kaukasiern ins Innere Russlands stößt auf wachsende Xenophobie in der russischen Bevölkerung. Der Nordkaukasus bildet mit Dutzenden Volksgruppen die islamische Südperipherie des europäischen Teils Russlands und eine Region unvollendeter Dekolonisierung. Islamistische Kampfparolen haben hier einen antikolonialen Zungenschlag. Die Muslime des Kaukasus befänden sich „im Krieg gegen die russische Besatzungsarmee“, so Umarow in seiner Videobotschaft. Zwischen Russland und seiner kaukasischen Peripherie wächst eine zivilisatorische Distanz. Die Menschen in Russland blicken auf die kaukasischen Föderationssubjekte zunehmend wie auf einen Fremdkörper in der Russischen Föderation.

Zugleich ist die Region eine exponierte Gewaltzone am Rande Europas. Der Europarat bezeichnete sie 2010 als heikelstes Gebiet in seinem Einzugsbereich, im vergangenen Jahr starben dort bei Terroraktionen und Scharmützeln zwischen Sicherheitskräften und Rebellen 745 Menschen. Für die Ausbreitung der Gewalt über weite Teile des Nordkaukasus sind verschiedene Faktoren verantwortlich: auf der einen Seite islamistisch-terroristische Gewalt, die teilweise extern beeinflusst, im Wesentlichen aber ein Produkt lokaler Missstände ist. Auf der anderen Seite extralegale Gewaltausübung durch offizielle Sicherheitsorgane, die Familien von Terrorverdächtigen in Sippenhaft nehmen und deren Häuser abbrennen. Dazu kommen ein erschreckendes Maß an Korruption und schlechter Regierungsführung durch lokale und föderale Machtorgane, mafiöse und ethnische Konkurrenz sowie Verteilungskämpfe innerhalb der lokalen Machteliten und Grauzonen zwischen kriminellen und staatlichen Akteuren. Auch die sozialökonomischen Daten weisen die Region als die Krisenzone Russlands aus: Insgesamt sind gut 20 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung ohne Beschäftigung, in einigen Teilrepubliken liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei über 70 Prozent.

Im Unterschied zum Südkaukaus mit seinen drei unabhängigen Staaten bietet der Nordkaukasus als innere Angelegenheit Russlands für internationale Politik kaum Zugang. Dennoch darf eine europäische und deutsche Ostpolitik nicht an der Entwicklung in der Region vorbeisehen. Bis vor kurzem beschränkte sich der Blick hier auf Tschetschenien, das mit zwei Kriegen die schlimmsten Gewaltereignisse nachsowjetischer Geschichte lieferte. Doch Tschetschenien ist nicht mehr das Epizentrum von Gewalt in der Region, es ist längst von Nachbarrepubliken überholt worden. Im Jahr 2010 starben in Dagestan und Inguschetien weit mehr Menschen durch Gewaltakte. War der „nationale Unabhängigkeitskampf“ der 1990er Jahre noch auf Tschetschenien beschränkt, so greift der Dschihad nun auf weitere Teile des Nordkaukasus aus.

Die prekäre Sicherheitslage in Russlands innerem Ausland strahlt auch auf sein nahes Ausland im Südkaukasus aus, wo die EU nach dem Georgienkrieg 2008 mit ihrer Beobachtungsmission an den administrativen Grenzen Georgiens zu Abchasien und Südossetien verstärkt Position bezogen hat. Was die Stellung Russlands in der kaukasischen Gesamtregion betrifft, finden wir eine widersprüchliche Konstellation vor: Während Russland über zwei Territorien des Südkaukasus – Abchasien und Südossetien – ein Militärprotektorat errichtet hat und ihnen Unabhängigkeit und Sicherheit gegenüber Georgien garantiert, ist es in seinen eigenen kaukasischen Teilrepubliken nicht in der Lage, auch nur ein Minimum an Sicherheit und Staatlichkeit zu gewährleisten.

Aber auch ein Blick auf Georgien ist geboten. Georgien widmet sich verstärkt den nordkaukasischen Völkern. 2010 hob Tiflis die Visapflicht für Einwohner der nordkaukasischen Republiken Russlands auf. Präsident Saakaschwili verkündete vor dem UN-Sicherheitsrat ein Programm „United Caucasus“. Was steckt dahinter? Eine Retourkutsche gegen Russland, das sich in die Sezessionskonflikte Georgiens massiv eingemischt hat? Oder geht es um eine gesamtkaukasische Friedens-und Entspannungspolitik? Eine solche würde allerdings eine Entkrampfung der nach wie vor gestörten Beziehungen zwischen Georgien und Russland voraussetzen.

In der „Modernisierungspartnerschaft“ mit Russland, die derzeit ein Hauptstichwort im deutsch-russischen Dialog liefert, besteht für Russlands Partner Grund, über Moskau und einige Modernisierungsinseln hinaus auf die regionale Ebene der Russischen Föderation zu blicken, auf der ganz unterschiedliche Voraussetzungen für Modernisierung bestehen. In der kaukasischen Peripherie stößt dieser Prozess auf die höchsten Hürden und den stärksten Widerstand. Eine veränderte russische Kaukasusstrategie will nun stärker die politischen und sozialökonomischen Wurzeln von Gewalt und Instabilität in der Region angehen und diesbezügliche Reformen einleiten, statt wie in den vergangenen Jahren einseitig auf hartes Durchgreifen und die Vernichtung der Rebellen bis zum letzten Mann zu setzen.

Ob sich diese Politik nun wirklich von den Vertretern der Gewaltorgane zu Entwicklungsmanagern wie Alexander Chloponin, dem neuen Sonderrepräsentanten des Präsidenten für den Nordkaukasus verlagern wird und Resultate erbringen kann , bleibt angesichts der sicherheitspolitischen Herausforderungen aus der Region fraglich. Vorläufig werden hier weiterhin Gewaltereignisse im Wochentakt gemeldet. Das Blutbad auf dem Flughafen Domodjedowo ist wohl eher dazu geeignet, die Entfremdung im russisch-kaukasischen Verhältnis noch weiter zu verhärten.

Uwe Halbach forscht an der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin zu Kaukasien, Zentralasien und Russland. Die SWP berät Bundestag und Bundesregierung in allen außen- und sicherheitspolitischen Fragen. Der Beitrag „Kaukasischer Teufelskreis“ erscheint auf der Homepage des Instituts in der Rubrik Kurz gesagt.

Uwe Halbach

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