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Gastkommentar: Renate Künast und das Berlin-Dilemma

Eigentlich wollten die Grünen ihren bundesweiten Höhenflug im Superwahljahr im September in Berlin krönen, schreibt Christoph Seils in seiner neuen Montagskolumne. Doch plötzlich schwächelt Renate Künast.

Das Superwahljahr 2011 mit seinen insgesamt sieben Landtagswahlen hat die Politik in Deutschland bislang mächtig durcheinandergewirbelt. Die FDP steht am Abgrund, die Grünen hingegen können vor Kraft kaum noch laufen. CDU und CSU vollführen aus Angst vor dem Zorn der völlig unberechenbar gewordenen Wähler derzeit in der Atompolitik den spektakulärsten programmatischen Salto in der Geschichte der deutschen Parteien, Ausgang ungewiss. Die SPD hingegen hat sich im innerparteilichen Streit um die K-Frage verheddert weil ihr kein Thema einfällt, mit dem sie sich zwischen der taumelnden schwarz-grünen Bundesregierung und der mitregierenden grünen Opposition profilieren könnte.

Nur in Berlin, wo in zweieinhalb Monaten ein neues Abgeordnetenhaus gewählt wird, ist davon wenig zu spüren. Seit Wochen bieten die Parteien in der Berliner Landespolitik das langweilige Kontrastprogramm zu den spektakulären tektonischen Verschiebungen im bundesdeutschen Parteiensystem. Und wäre in der vergangenen Woche nicht der grüne Wahlkampfmanager erst betrunken Auto gefahren, dann am Steuer eingeschlafen, und hätte er anschließend nicht auch noch versucht, sich handgreiflich der Alkoholkontrolle durch die Polizei zu entziehen, wüssten viele Berliner vermutlich immer noch nicht, dass am 18. September ein neuer Chef beziehungsweise erstmals eine Chefin für das Rote Rathaus gesucht wird.

Warum der Berliner Wahlkampf nicht hält, was er versprochen hat, lesen Sie auf der nächsten Seite.

Der Berliner Landtagswahlkampf hält bislang nicht, was er versprochen hat. Viel ist in den letzten Monaten schließlich über das ungewöhnliche Duell zwischen dem sozialdemokratischen Amtsinhaber Klaus Wowereit und der grünen Herausforderin Renate Künast geschrieben worden, von der einmaligen Chance der Grünen, in der deutschen Hauptstadt stärkste Partei werden zu können.

Von wegen Kopf-an-Kopf-Rennen, von wegen Wahl-Kampf. Keine Partei kann, wie sie will. Vor allem SPD, Grüne und CDU sind in machtstrategischen Zwängen gefangen und haben sich deshalb für die taktische Defensive entschieden. Dass zudem weder Klaus Wowereit, noch Renate Künast oder der CDU-Spitzenkandidat Frank Henkel eine politische Vision für Berlin haben, eine Idee für die Zukunft der Stadt, macht die Sache nicht besser.

Immerhin setzt der Amtsinhaber plötzlich auf Wirtschaftskompetenz, weil sein Parteifreund Olaf Scholz in Hamburg so gegen den Bundestrend souverän seine Landtagswahl gewonnen hat. Nach zehn Amtsjahren versucht Klaus Wowereit sich noch einmal neu zu erfinden, schließlich hat Berlins Regierenden Bürgermeister die Frage, wie statt Touristen Industrieunternehmen nach Berlin gelockt werden können, bislang wenig interessiert. Aber gleichzeitig muss der Sozialdemokrat sich zum rot-roten Senat bekennen, obgleich Rot-Rot im Herbst wohl ein Fall für die Geschichtsbücher ist. Das Bündnis, das im Januar 2002 als Tabubruch gestartet war, hat sich im Regierungsalltag aufgerieben, die Koalitionspartner haben sich auseinander gelebt.

Eigentlich wäre dies der Zeitpunkt, wo die Opposition ganz groß auftrumpfen und Wechselstimmung schüren könnte. Doch plötzlich schwächelt die stärkste Oppositionspartei, in allen Umfragen liegen die Grünen deutlich hinter der SPD. Plötzlich wirkt Renate Künast gehemmt. Ihr Wahlprogramm ist ein Sammelsurium von Spiegelstrichen für jedermann und jede Frau, in den Kleingärten, an den Werkbänken und auf Spielplätzen, wo in Berlin die entscheidenden Stimmen gewonnen werden und Amtsinhaber Wowereit mit seinem hemdsärmeligen Charme unschlagbar scheint, fremdelt die burschikose Herausforderin. Von einem Duell um die Macht ist wenig zu spüren. Wowereit spielt seinen Amtsbonus souverän aus, während die Bundespolitikerin Künast in den Niederungen der Landespolitik unübersehbar schwer tut.

Warum sich Renate Künast so schwer tut, lesen Sie auf der nächsten Seite.

Zwar dringt der Ehrgeiz aus jeder Pore ihres Körpers, aber mit Ehrgeiz alleine lässt sich das Rote Rathaus nicht erobern. Auch nicht mit Richtlinienkompetenz. Trotzdem redet Künast ständig im schönsten Bürokratendeutsch genau davon, weil sie anders nicht erklären kann, warum sie einerseits Klaus Wowereit ablösen will, weil er die Stadt schlecht regiert und anderseits gerne mit der SPD regieren will. 

Das Berlin-Dilemma von Renate Künast ist unübersehbar. Sie kann nicht so angreifen, wie sie es als Fraktionschefin im Bundestag gewohnt ist, sie kann nicht zuspitzen und polarisieren. Sie kann ihre Stärken nicht ausspielen, weil die politische Konkurrenz und die Medien natürlich danach fragen, ob eine Bürgermeisterin Künast auch liefern kann.

Gleichzeitig gibt es in Berlin anders als in Baden-Württemberg keinen gesellschaftlichen Großkonflikt, der vergleichbar wie Stuttgart 21 polarisiert. Es gibt keinen Regierungschef, dem das Wahlvolk überdrüssig ist. Renate Künast ist auch kein Winfried Kretschmann, der als konservativer Grüner bis tief ins bürgerliche Lager hinein Vertrauen genießt.

Vor allem aber können Künast und die Grünen keine alternative Machtperspektive bieten. Womit das eigentliche Dilemma des bislang so langweiligen Berliner Wahlkampfes offenkundig wird. Kein Wähler weiß, welche Landesregierung er nach dem 18. September bekommt, welches Bündnis auf Rot-Rot folgt.

Möglich sind nach Lage der Dinge im Herbst drei Konstellationen: Rot-Schwarz, Rot-Grün und Grün-Schwarz. Für Wowereit ist die Lage auch hier komfortabel, er weiß schon jetzt, die SPD hat nach der Wahl zwei Optionen. Der CDU bleibt sowieso nur die Rolle des Juniorpartners.

Deutlich schwieriger ist es für Renate Künast. Für ein Amt in einem rot-grünen Senat steht sie nicht zur Verfügung. Sie hat von Anfang an auf Sieg gesetzt. Doch ihren Traum, Berlin zu regieren, kann sich Künast nur im Bündnis mit der CDU erfüllen. Eigentlich müssten die Grünen offensiv auf diese Machtoption setzen. Eigentlich verlangt die neue Stärke der Grünen nach einer aktiven Führungsrolle. Eigentlich müsste sich Künast in dieser Situation mutig an die Spitze der Opposition gegen den rot-roten Senat stellen und die geschrumpfte und verunsicherte CDU mitnehmen.

Künast wäre eine solche Chuzpe zuzutrauen, doch da machen weder die Stadt, mit ihren überwiegend linken Wählern noch die traditionsbewusste grüne Basis und das bornierte hauptstädtische Bürgertum mit. Und so zeigt Berlin, der kometenhafte Aufstieg der Grünen von einer kleinen zu einer mittelgroßen Partei vom Mehrheitsbeschaffer zur Hoffnungsträgerin des Bürgertums vollzog sich in diesem Superwahljahr viel zu schnell. Die Grünen nicht nur programmatisch, sondern auch machtstrategisch den neue Herausforderungen, die sich aus ihrer neuen Stärke ableiten, noch nicht gewachsen. Vermutlich ist das der Grund, warum Renate Künast im Berliner Wahlkampf so gehemmt wirkt.

Christoph Seils ist Leiter der Online-Ausgabe des Cicero. In diesem Jahr erschien sein Buch „Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien?“ im WJS-Verlag. Seils wird an dieser Stelle wöchentlich über die deutsche und vor allem die Berliner Parteienlandschaft schreiben.

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