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Gastkommentar: Syrien: Keine Militarisierung des Konfliktes fördern

Muriel Asseburg von der Stiftung Wissenschaft und Politik warnt vor der Unterstützung einer militärischen Intervention in Syrien. Diese dürfte die Situation der Bevölkerung nur verschlimmern.

Seit der Vermittlungsinitiative der Arabischen Liga von Anfang November hat sich die Konfrontation zwischen Regime, Protestbewegung und Deserteuren in Syrien weiter zugespitzt. Das Regime hat sein Militär nicht, wie von der Liga gefordert, aus den Bevölkerungszentren abgezogen. Es hat weder die Gewalt eingestellt noch Beobachter und ausländische Journalisten zugelassen, sondern versucht, die Bedingungen für deren Entsendung neu zu verhandeln.

Die Demonstrationen haben mittlerweile auch die beiden größten syrischen Städte, Damaskus und Aleppo, erfasst. Desertierte Soldaten, die sich in der sogenannten Freien Syrischen Armee zusammengefunden haben, verüben zunehmend Anschläge auf Sicherheitskräfte und Einrichtungen des Regimes. Die UN beziffern die Opfer der seit acht Monaten andauernden Auseinandersetzugen auf rund 3500 Tote sowie Zehntausende von Verletzten und Verhafteten, beziehungsweise Entführten.

Es ist offensichtlich, dass die politische Führung auf Repression setzt, um die Protestbewegung zu unterdrücken, und nicht bereit ist, über einen Machtverzicht zu verhandeln oder auch nur ernsthafte politische Zugeständnisse zu machen. Sie hat lediglich kosmetische Reformen angekündigt und oberflächliche Zugeständnisse gemacht. Zugleich hat sich die Anti-Regime-Opposition in Reaktion auf die Übergriffe des Sicherheitsapparates und der vom Regime bezahlten Shabiha-Banden bewaffnet, beziehungsweise ist zunehmend zum bewaffneten Kampf übergegangen – die von Riad al-Asa’d angeführte Freie Syrische Armee, die Stämme im Süden und Osten des Landes sowie immer stärker auch die Demonstranten, die bislang auf Gewaltlosigkeit gesetzt hatten.

Damit steigt stetig nicht nur die Gefahr einer Eskalation des bewaffneten Machtkampfes. Im Vielvölkerstaat Syrien drohen auch Auseinandersetzungen zwischen ethnischen und konfessionellen Gruppen, unter denen vor allem Angehörige der Minderheiten zu leiden hätten.

Auch wenn Präsident Bashar al-Asad ganz überwiegend nicht mehr als Stabilitätsfaktor gesehen wird (das scheint selbst für so enge Verbündete wie den Iran zu gelten), so gibt es noch keine alternative Kraft, die ausreichend handlungsfähig wäre. Nicht zuletzt deshalb zögert die internationale Gemeinschaft, den Druck auf Damaskus zu erhöhen. Zudem ist die Sorge, dass bewaffnete Auseinandersetzungen in einen umfassenden Bürgerkrieg führen und die Region massiv destabilisieren könnten, berechtigt.

Lesen Sie auf Seite 2: Warum die Freie Syrische Armee nicht unterstützt werden sollte.

Eine weitere Militarisierung des Konfliktes ist nicht im Sinne der Protestbewegung, sondern spielt dem Regime in die Hände, das argumentiert, gegen einen bewaffneten Aufstand zu kämpfen. Sie gibt ihm Raum, ethnische und konfessionelle Konflikte weiter anzustacheln, und sie verängstigt Angehörige von Minderheiten und der Unternehmerschicht weiter, statt diese dazu zu ermutigen, sich der Protestbewegung anzuschließen. Vor allem aber hat der bewaffnete Kampf keine Chance, gegen das nach wie vor starke und in den oberen Rängen geeinte syrische Militär erfolgreich zu sein. Die internationale Gemeinschaft sollte daher dringend auf gewaltfreien Protesten bestehen und sich davor hüten, die Freie Syrische Armee zu unterstützen.

Der einzig gangbare Weg scheint, das Regime durch Erhöhung des internationalen politischen und wirtschaftlichen Drucks zum Einlenken zu bringen. Denn entgegen den Aussagen des Präsidenten ist es der syrischen Führung keineswegs gleichgültig, dass sie zunehmend isoliert ist und sich auch ehemals enge Verbündete wie die Türkei distanzieren.
Dazu muss der externe Druck auf  die Führung in Damaskus erhöht werden. Mit der Initiative der Arabischen Liga von Anfang November, deren Scheitern einkalkuliert war, dem vorläufigen Ausschluss Syriens aus der Liga und deren Ankündigung von Sanktionen, ist der Weg dafür frei gemacht worden. Die klare Positionierung der Liga dürfte die Haltung Russlands im Sicherheitsrat beeinflussen; China signalisiert bereits Bereitschaft, nicht länger zu blockieren.

In diesem Sinne ist auch der europäische Vorstoß sinnvoll, diese Woche eine von arabischen Staaten unterstützte Resolution in der UN-Generalversammlung einzubringen, die von Damaskus die Beendigung der Menschenrechtsverletzungen, die Umsetzung des Plans der Arabischen Liga und die Kooperation mit der Untersuchungskommission des UN-Menschenrechtsrates fordert – nicht zuletzt als Vorstufe für eine entsprechende Sicherheitsratsresolution. So sehr die Forderung berechtigt ist, das Regime für seine Greueltaten zur Verantwortung zu ziehen: Momentan sollte im Vordergrund stehen, die Exit-Option für die Führungsspitze nicht zu versperren – das heißt auch, im Sicherheitsrat keine Überweisung an den Internationalen Strafgerichtshof anzustreben.

Lesen Sie auf Seite 3: Die europäischen Partner sollten eine glaubwürdige politische Alternative fördern.

Zudem gilt es, die Herausbildung einer glaubwürdigen politischen Alternative zum Asad-Regime zu unterstützen. Dies erfordert eine koordinierte Strategie der Opposition, die Entwicklung handlungsfähiger personeller und inhaltlicher Alternativen – also konkrete Planungen für den Tag danach – und deren Kommunikation an die bislang schweigende Mehrheit der syrischen Bevölkerung. Deutschland und seine europäischen Partner sollten die syrische Opposition gemeinsam mit der Türkei unterstützen – durch unbürokratische finanzielle Hilfe, Beratungsleistungen, Reiseerleichterungen sowie die Ernennung eines hochrangigen Sonderbeauftragten als Ansprechpartner. Sich bereits auf eines der Oppositionsbündnisse festzulegen, wäre indes verfrüht. Noch kann keines wirklich breite Unterstützung für sich beanspruchen oder wäre auch nur annähernd regierungsfähig.

Ein erster Schritt zum Schutz der Zivilbevölkerung wäre eine unabhängige Beobachtung der Situation vor Ort, die der Propaganda des Regimes – und den Darstellungen anderer an den Auseinandersetzungen Beteiligter – unabhängige Informationen entgegensetzen kann. Da es unwahrscheinlich ist, dass Damaskus Beobachter der Arabischen Liga, UN-Beobachter und ausländische Journalisten ungehindert ins Land lässt, ist eine umfassende Beobachtung durch Drohnen und Satelliten dringend angezeigt.

Diese Empfehlungen mögen unbefriedigend wirken, weil sie nicht geeignet sind, das Blutvergießen in Syrien schnell zu beenden, und weil ihre Erfolgsaussichten insgesamt eher gering sind. Doch auch eine internationale Militärintervention, die ohnehin auf absehbare Zeit weder von den arabischen Staaten unterstützt noch vom Sicherheitsrat legitimiert werden würde, könnte die Bevölkerung kaum effektiv schützen. Dies gilt auch für die derzeit diskutierte Einrichtung einer Schutz- oder Pufferzone durch die Türkei, insbesondere, wenn aus dieser heraus militärisch gegen das Regime operiert würde. Klar ist: Die Folgen einer militärischen Intervention, ja bereits die Ermutigung der bewaffneten Opposition durch die Androhung einer solchen, dürften die Situation für die syrische Bevölkerung verschlimmern statt sie zu lindern.

Muriel Asseburg leitet die Forschungsgruppe Naher/ Mittlerer Osten und Afrika der Stiftung Wissenschaft und Politik. Die Stiftung berät Bundestag und Bundesregierung in allen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik. Der Beitrag erscheint auf der SWP-Homepage unter der Rubrik "Kurz gesagt".

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