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Fans der deutschen Nationalmannschaft auf der Fanmeile in Berlin.

© dpa

Kolumne "Ich habe verstanden": Fußballschauen braucht keinen Nationalismus

Manche behaupten, wenn die deutsche Nationalmannschaft spielt, spielt Deutschland. Das ist Quatsch, findet Matthias Kalle, denn er selbst gehört ja nicht dazu, sondern 23 junge Männer. Und wenn die besser spielen als andere, kann er schließlich nichts dafür.

Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich jedes Spiel der Fußballweltmeisterschaft geschaut – darauf bin ich nicht stolz, das wollte ich Ihnen nur mitteilen, damit Sie wissen, in welcher Gemütsverfassung ich diese Kolumne so ungefähr schreibe. Zudem schreibe ich diese Kolumne mit dem Wissen, dass Sie, liebe Leserin, lieber Leser, im Prinzip nichts mehr über den Fußball oder die Weltmeisterschaft oder die Fußballweltmeisterschaft lesen wollen. Ich lese auch keine Texte darüber – ich wüsste ja auch gar nicht, wann. Der Fernseher geht um 17 Uhr an und um 2 Uhr aus, da bleibt wenig Zeit für anderes, und essen und duschen muss man ja auch.

So – wovon soll also nun diese Kolumne handeln? Vom Essen? Vom Duschen? Oder vielleicht doch von Gefühlen, denn um nichts anderes geht es beim Fußball (anders als bei der Fernsehkritik zum Beispiel), und dann davon, was das Schauen einer Fußballweltmeisterschaft mit einem macht, der diesen Sport liebt und gleichzeitig ab und an als Fernsehkritiker gebucht wird? Davon also, dass die Übertragung dieser Weltmeisterschaft für das Gute und das Schlechte der vergangenen Woche verantwortlich ist?

Spanien adé mit Mehmet Scholl

Das Gute sind die Spiele, sind die 90 Minuten, sind die zwei Mannschaften auf dem Platz. Meistens gut sind Oliver Welke im ZDF und Mehmet Scholl in der ARD, und es ist vielleicht besser, dass die nicht zusammen ein Team bilden. Am Mittwochabend war es dann auch Mehmet Scholl, der zum Ausscheiden der spanischen Mannschaft die richtigen Worte fand und den Ton traf – während sich alle anderen im Ton so dermaßen vergriffen, dass es schon fast peinlich war. Scholl sprach ohne Häme, denn er sah in dem Untergang dieser großen Mannschaft das, was es war, nämlich sehr, sehr traurig (der amtierende Weltmeister fliegt in der Vorrunde raus), und er selbst war es auch, der darauf hinwies, dass die deutsche Mannschaft als Europameister in der Vorrunde der EM im Jahr 2000 rausflog. Und das war genau der richtige Hinweis für all diejenigen, die in den sogenannten sozialen Netzwerken nicht merkten, dass ihre Kommentare zwar lustig gemeint waren, aber leider doch nur Chauvinismus waren.

Das war dann auch der Moment, in dem dieser deutsche Party-Patriotismus, der angeblich seit dem Sommermärchen 2006 so harmlos und liebenswürdig sein soll, nicht mehr so harmlos und liebenswürdig war, sondern eher wie ein durch die Hintertür kommender Nationalismus. Da sind die doofen Spanier, die das Fußballspielen verlernt haben (das Arbeiten hatten die ja schon vor Jahren verlernt, weswegen es ihnen im Gegensatz zu uns auch wirtschaftlich so schlecht geht) und die endlich keine Gefahr mehr darstellen für die tollen Deutschen, die ja jetzt Fußball spielen können und möglicherweise ohne Widerstand durchmarschieren bis zum Finale und darüber hinaus.

Die deutsche Nationalmannschaft ist nicht Deutschland

Als ob es im Sport, zumal im Fußball, erstrebenswert wäre, ohne Herausforderung einen Titel zu gewinnen. Das ist natürlich Unsinn – und genau so ist es Unsinn, wenn man hier und da liest, dass die deutsche Nationalmannschaft nicht nur die deutsche Nationalmannschaft sei, sondern „Deutschland“, also wir alle. Ich bin nicht die deutsche Nationalmannschaft, ich kann nämlich nicht Fußball spielen, keine Frau ist die deutsche Nationalmannschaft, denn Frauen spielen da nicht mit. Jeder mit einem Hochschulabschluss ist nicht die deutsche Nationalmannschaft, den braucht man da nicht. Die deutsche Nationalmannschaft besteht aus 23 jungen Männern, die besser Fußball spielen können als andere junge Männer – und wenn sie besser Fußball spielen als 23 junge Holländer, dann kann ich da nichts für.

Und ich kann auch nichts dafür, dass mir das Zuschauen so einen Spaß macht, aber ich glaube, dass man das aushalten muss: dass es eben einfach nur Spaß macht, dass das reicht, dass man keine Überhöhung braucht, um im Fußball etwas anderes, vermeintlich Höheres zu entdecken. Es ist nur Fußball – aber ich mag es, mag es, ja, das tu ich.

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