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Schwungvoll gescheitert: 1986 fliegt die Brasiliener um Zico (r.) gegen Frankreich raus.

© AFP

Kolumne "Ich habe verstanden": Schwung und Stil bei der vielleicht letzten WM

In den 80er Jahren verliebt sich unser Gastautor in den Fußball. Nun freut er sich auf die vielleicht letzte WM. Wer gewinnt, ist ihm aber egal.

Sie werden es kaum glauben, aber: Als Fernsehzuschauer freue ich mich auf diese Fußballweltmeisterschaft wie dumm und verrückt. Echt wahr. Weil ich glaube, dass es sich um eine historische Weltmeisterschaft handeln könnte – nämlich um die letzte. Und da, finde ich, sollte man sich wenigstens darüber freuen, dass man diese Eine noch im Fernsehen erleben kann.

Russland in vier Jahren, Katar in acht Jahren – ganz ehrlich: klingt beides nicht sonderlich realistisch. Dass die Fifa eine Ethikkommission hat, die sich Korruptionsvorwürfe und Vergabemodalitäten noch einmal genau anschaut, klingt hingegen irgendwie so, als gäbe es in Bordellen Frauenbeauftrage. Es könnte also durchaus passieren, dass das alles wie ein Kartenhaus in sich zusammenfällt und Fußballweltmeisterschaften vom sportlichen Kalender gestrichen werden. Sackhüpfen ist ja leider auch keine olympische Disziplin mehr.

Stil und Schwung sind wichtiger als gewinnen

Umso toller also, dass es nächste Woche dann losgeht, und da ich ja eh die ganze Zeit Fernseh gucke, werde ich mir jedes Spiel anschauen, auch Elfenbeinküste gegen Japan, Sonntagmorgens um 3 Uhr. Die Elfenbeinküste haben ja einige „auf dem Zettel“, bei anderen steht da Belgien oder Kolumbien, einen kenne ich, da steht Kroatien drauf.

Auf meinem Zettel steht nix, auf einem anderen Zettel, der über meinem Schreibtisch klebt, steht ein Zitat des nordirischen Fußballspielers Danny Blanchflower, der einmal sagte: „Der große Trugschluss ist, dass es bei diesem Spiel ums Gewinnen geht. Darum geht es nicht. Es geht um Ruhm, und es geht darum, Dinge mit Stil und mit Schwung zu erledigen, darum, raus zu gehen und die anderen zu schlagen und nicht darauf zu warten, dass sie vor Langeweile sterben.“

Ich glaube, Blanchflower hat Recht, deshalb ist es mir auch völlig egal, wer Weltmeister wird. Deutschland? Von mir aus. Aber wer Weltmeister wird, muss nicht zwangsläufig den besten Fußball spielen, aber als Fernsehkritiker verlange ich vor allem genau das.

Heute ist der deutsche Fußball besser - auch ohne Titel

Als ich noch kein Fernsehkritiker war, in den 80er Jahren, da sah ich 1982 und 1986 eine brasilianische Nationalmannschaft, die so schön spielte, wie ich es als kleiner Junge nur ahnte, nicht aber begriff. Socrates sorgte für die Eleganz, Zico sorgte für den Rest – vielleicht war das die beste Nationalmannschaft aller Zeiten. Wurden die Weltmeister? Nee, natürlich nicht, 1982 wurde Italien Weltmeister, 1986 Diego Maradona unter Mithilfe von zehn anderen Argentiniern, beide Male hieß der Finalgegner Deutschland, und wenn man sich mal anschaut, wie der deutsche Fußball damals aussah und wie er heute, in seinen besten Momenten, aussieht, dann würde ich zwischen damals und heute immer das heute wählen wollen: auch ohne Titel, auch ohne Finale.

In einem interessanten Interview in der „Zeit“ reden die Fußballkommentatoren Bela Réthy und Marcel Reif über den modernen Fußball und die Weltmeisterschaft. Die beiden geben in dem Gespräch zu, dass die Doppelsechs und die falsche Neun jetzt nicht unbedingt zu ihren bevorzugten Begriffen gehören – Réthy sagt: „Ich schaue auch immer nach abkippenden Sechsern oder anderen taktischen Volten, aber entdecke sie meistens auch nicht. Da wird sehr viel reingedoktert in diesen Sport, und das tut ihm manchmal nicht gut.“

Stil und Schwung. Was Blanchflower vom Fußball forderte gilt immer noch, und es gilt nicht nur für den Fußball, sondern auch fürs Fernsehen und fürs Leben.

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