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Europa ist kein wirklich beliebtes Thema in Deutschland.

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Kontrapunkt: Die Eurokrise und die Angst der Politik vor dem Wähler

In Sachen Europa profiliert sich die Bundesregierung als Bremserin und die Kanzlerin als Madame No. Das hat vor allem damit zu tun, dass in Deutschland die Angst vor einem Erstarken eurokritischer Parteien groß ist.

Sie sei eine leidenschaftliche Europäerin, hat die Bundeskanzlerin am Freitag vergangener Woche der Öffentlichkeit offenbart. Wenn dem so ist, dann hat Angela Merkel dies in den letzten Monaten gekonnt verborgen. Weitgehend emotionslos kämpft sie seit anderthalb Jahren gegen ein Auseinanderbrechen der Eurozone. Die EU steckt in der tiefsten Krise ihrer Geschichte, regelmäßig treffen sich die Staats- und Regierungschefs der Eurozone mittlerweile zu Krisengipfeln. Doch Angela Merkel profiliert sich in Sachen Europa als Bremserin.

Zum wiederholten Male konnten sie und ihre schwarz-gelbe Bundesregierung in der vergangenen Woche erst durch massiven Druck der Nachbarstaaten dazu bewegt werden, einem Sondergipfel und einem neuen Rettungsplan für Griechenland zuzustimmen. Der Name „Madame No“, den ihr Kommentatoren in ganz Europa im Zusammenhang mit der Eurokrise verpasst haben, scheint der Kanzlerin zu gefallen.

Merkel, die auch CDU-Vorsitzende ist, weiß warum. Europa ist kein Thema mit dem sich in Deutschland Wähler mobilisieren und Wahlen gewinnen lassen. Unter den Anhängern von Christ-, Frei-, und Sozialdemokraten ist die Europaskepsis gleichermaßen groß. Finanzielle Hilfen zur Rettung überschuldeter Eurostaaten sind äußerst unpopulär. Gleichzeitig ist die Angst der Parteistrategen in allen Parteien groß, auch in Deutschland könnten Europakritiker mit einer eigenen Partei Furore machen.

Aus gutem Grund. Das Thema Europa gehört zu jenen neuen gesellschaftlichen Konfliktlinien, an denen sich in vielen Nachbarstaaten in den letzten Jahren neue rechtspolitische und eurokritische Parteien profiliert und den etablierten Parteien viele Wähler abgejagt haben. In Italien, Dänemark oder den Niederlanden bestimmen sie sogar die Regierungspolitik mit. In ganz Europa ist der Rechtspopulismus auf dem Vormarsch und es gibt keinen Grund, warum er dauerhaft um Deutschland einen Bogen machen sollte.

Mehr über die Europa-Skepsis der deutschen Parteien lesen Sie auf Seite 2

Die politische Integrationskraft der deutschen Parteien ist beim Thema Europa schwach, der Riss geht hier quer durch ihre Anhängerschaft. Sieht man einmal von den Grünen, der einzigen selbstbewusst pro-europäischen Partei in Deutschland, ab, dann gibt es an der Basis aller Parteien mehr oder weniger große anti-europäische Ressentiments, bis weit in die Parlamentsfraktionen hinein.

In der FDP haben sich die Europaskeptiker im „Liberaler Aufbruch“ organisiert. Der CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler klagt in Karlsruhe gegen den Euro-Rettungsschirm, den seine Regierung im Bundestag verabschiedet hat. Der Kreis der Abgeordneten von CDU, CSU und FDP, der die Milliardenhilfen an Griechenland und andere in Not geratene Euroländer ablehnt, ist zwar klein aber politisch einflussreich. Auch die Linkspartei schürt gerne anti-europäische Ressentiments gegen das vermeintliche Europa der Reichen. Eine selbstbewusste und leidenschaftliche pro-europäische Politik lässt sich da kaum vertreten.

Allerdings ist es ein Mythos, dass dies in Deutschland früher anders, besser war. Auch der leidenschaftliche Europäer Helmut Kohl wusste, dass er die europäische Integration gegen den Willen vieler Deutscher durchsetzen musste. Hätte es in Deutschland ähnlich wie in einigen Nachbarländern Volksabstimmungen etwa zur europäischen Verfassung, zum Lissabonvertrag oder zur Einführung des Euro gegeben, die Mehrheit der Deutschen hätte vermutlich mit „Nein“ gestimmt.

Die europäische Integration ist in Deutschland ein Elitenprojekt, das selten mit Emotionen und häufig mit politischem oder ökonomischem Kalkül durchgesetzt wurde. Die politische Klasse hat sich der europäischen Integration verschrieben, für die politischen, kulturellen und ökonomischen Eliten löst sich im Zeitalter der Globalisierung der Nationalstaat als politischer Ordnungsrahmen längst auf. Die exportorientierte Wirtschaft profitiert massiv von dem europäischen Währungs- und Wirtschaftsraum und verlangt von der Politik in der Krise, dass diese den Euro rettet – koste es, was es wolle. Doch die Kluft, die sich in der Bevölkerung auftut, ist mittlerweile gewaltig.

Vor allem der politische Diskurs und die demokratische Willensbildung verharren weitgehend im nationalstaatlichen Rahmen, die Institutionen der EU hingegen sind demokratisch nur schwach legitimiert, die Europawahlen werden selbst von den Parteien nicht besonders ernst genommen.

Warum Leidenschaft und Europa für die meisten Deutschen nicht zusammenpasst, lesen Sie auf Seite 3

Kein Wunder also, dass bei den meisten Deutschen die Euroskepsis überwiegt. Brüssel ist für sie ein bürokratisches Monstrum, die EU eine undemokratische Veranstaltung und der Euro ein Teuro. In allen Meinungsumfragen wird dies deutlich. Fast vier von fünf Deutschen sagen, sie hätten von der Einführung des Euro persönlich nicht profitiert. Jeder zweite Deutsche will Umfragen zu Folge die D-Mark zurück, das Unverständnis darüber, dass die Bundesregierung immer mehr Milliarden Euro Steuergelder in die Rettung der Gemeinschaftswährung investiert, ist riesig, die Angst vor einer Inflation, die die Ersparnisse aufzehrt, groß.

Und alle Umfragen offenbaren zugleich ein Bildungsgefälle: je niedriger der Bildungsstand, desto größer die Europaskepsis. Gleichzeitig ist die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg verblasst. Viele junge Menschen begreifen die europäische Integration nicht mehr als eine historische Verpflichtung.

Allerdings haben die Politiker viel dazu beigetragen, populistische Vorurteile gegen Europa zu stärken. Auch Angela Merkel, die im Frühjahr wider besseren Wissens die vermeintliche Arbeitsscheu und das frühe Renteneintrittsalter der Südeuropäer für die Haushaltskrise der Länder mitverantwortlich machte.

Es war für die deutsche Politik zudem viele Jahre lang sehr bequem, für unpopuläre Entscheidungen Brüssel, seine vermeintlich überbordende Bürokratie und seine angeblich nicht demokratisch legitimierten Institutionen verantwortlich zu machen. Dabei saßen deutsche und in Deutschland gewählte Politiker immer mit am Tisch, wenn das Europaparlament oder der Europäische Rat seine Entscheidungen gefällt hat. Sie saßen auch mit am Tisch, als in Brüssel beschlossen wurde, die Stabilitätskriterien des Euro, die im Maastrichter Vertag zusammen mit der Einführung des Euro beschlossen wurden, nicht so genau nehmen.

Die Angst vor dem eurokritischen Wähler lähmt die Deutsche Politik. Leidenschaft und Europa, das passt für die meisten Deutschen nicht zusammen. Kein Wunder, dass auch die Politik immer weniger Leidenschaft für Europa mitbringt und so ist auch in Deutschland das gesellschaftliche Terrain für den Aufstieg einer rechtspopulistischen Partei längst bereitet.

Christoph Seils ist Leiter der Online-Ausgabe des Cicero. In diesem Jahr erschien sein Buch „Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien?“ im WJS-Verlag. Seils wird an dieser Stelle wöchentlich über die deutsche und vor allem die Berliner Parteienlandschaft schreiben.

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