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Israel schottet sich ab. Doch auf lange Sicht kann militärische Überlegenheit allein die Probleme in der Region nicht lösen.

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Krise in Nahost: Israel muss mehr bieten als militärische Überlegenheit

Unbestritten hat Israel ein Problem mit den Folgen des Arabischen Frühlings, kommentiert Nora Müller. Doch um seine Sicherheitsinteressen durchzusetzen, darf Israel sich langfristig nicht nur abschotten.

Weiß-blaue Fähnchen, Barbecue, patriotische Songs: nach außen hin schien alles wie immer, als Israel seinen 65. Unabhängigkeitstag feierte. Doch der Eindruck trügt, denn angesichts der zunehmenden Instabilität in der Region schauen viele Israelis pessimistisch in die Zukunft. Durch die Folgen des „Arabischen Frühlings“, vor allem den Siegeszug der notorisch Israelfeindlichen Muslim-Bruderschaft, ist ihr regionales Umfeld bedrohlicher und unkalkulierbarer geworden, so die gängige Einschätzung. Als „anti-westlich, anti-israelisch, undemokratisch“ bezeichnete Premier Netanyahu bereits im November 2011 die arabischen Umbrüche - und setzte auf eine Politik der Abschottung statt des Gestaltens. Heute, anderthalb Jahre später, würde wohl kaum ein Israeli sein Land zu den Gewinnern der regionalen Veränderungen zählen. Doch ist Israels unbestreitbares Arab Spring Problem, wie es der Washington Post-Kolumnist David Ignatius unlängst formulierte, die ganze Wahrheit?

Chaos in Syrien ist für Israel ein Sicherheitsrisiko

Nüchtern betrachtet, hat sich die geostrategische Gesamtsituation des Landes seit 2011 nicht in allen Bereichen verschlechtert. Im Gegenteil: teilweise profitiert Israel sogar von der neuen Gemengelage. Kein Zweifel: Chaos in Syrien und Unruhe in Ägypten stellen für Israel ein erhebliches Sicherheitsrisiko dar. Gleichwohl sind mit Kairo und Damaskus zwei der wichtigsten potenziellen Gegenspieler Israels in der Region durch ihre internen Konflikte militärisch und politisch geschwächt – und zwar auf absehbare Zeit. Durch die relative Schwäche möglicher Rivalen fällt der qualitative military edge, der von den USA garantierte militärische Vorsprung Israels vor seinen Nachbarn, umso stärker ins Gewicht. Dass Israel einmal mehr mit der Aufstockung militärischer Fähigkeiten auf regionale Herausforderungen reagiert, statt politische Handlungsspielräume auszuloten und strategischen Weitblick zu beweisen, mag enttäuschen. Soft-power-Punkte sind mit dieser Art von Politik keinesfalls zu gewinnen. Doch daran ist Jerusalem in der gegenwärtigen Situation auch nicht interessiert. Ihm geht es vor allem um eins: Sicherheit. Und die hat Israels politisches und militärisches Establishment trotz der Verwerfungen in der Region bislang erfolgreich verteidigt.

Auch mit Blick auf Iran, Israels erklärten Erzkontrahenten in der Region, hat sich das Kräfteverhältnis nicht zuungunsten Jerusalems verschoben. Die internationalen Sanktionen, deren Verschärfung mutmaßlich dazu beigetragen hat, einen militärischen Alleingang Israels gegen das iranische Atomprogramm vorerst abzuwenden, treffen die iranische Volkswirtschaft ins Mark. Der Rial wertet ab, die Inflation steigt, die politische Elite des Landes ist gespalten. Im Nuklearkonflikt ist Teheran Anfang des Jahres an den Verhandlungstisch zurückgekehrt. Selbst wenn bislang völlig unklar ist, ob die aktuelle Runde der E3+3-Gespräche Ergebnisse zeitigen wird: die fünf ständigen Sicherheitsratsmitglieder und Deutschland haben erneut einen Prozess in Gang gebracht, der darauf abzielt, eine nukleare Bewaffnung Irans zu verhindern. Und genau darin besteht ein zentrales Sicherheitsinteresse Israels.

Die israelisch-amerikanische Partnerschaft ist ungebrochen

Israel schottet sich ab. Doch auf lange Sicht kann militärische Überlegenheit allein die Probleme in der Region nicht lösen.
Israel schottet sich ab. Doch auf lange Sicht kann militärische Überlegenheit allein die Probleme in der Region nicht lösen.

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Auch die in den letzten vier Jahren häufig vernehmbaren Misstöne zwischen Israel und seinem Hauptverbündeten USA, die in der offenkundigen Antipathie zwischen Barack Obama und Benjamin Netanyahu gipfelten, scheinen bis auf Weiteres verklungen. Obamas mehrtätige Visite in Jerusalem und Tel Aviv gleich zu Beginn seiner zweiten Amtszeit war mehr als nur eine „Charme-Offensive“ gegenüber dem jüdischen Staat: ein klares Bekenntnis Washingtons zur „ewigen Allianz“ mit Israel. Die amerikanische Solidarität mit Israel erschöpft sich auch in Zeiten harter Einschnitte in den US-Haushalt nicht in wohlfeilem Freundschaftspathos: Zusätzlich zu den jährlich rund drei Milliarden US-Dollar Militärhilfe an Jerusalem ist gerade erst ein zusätzlicher dreistelliger Millionenbetrag zu Verstärkung des israelischen Raketenabwehrschilds Iron Dome bewilligt worden.

Dank amerikanischer Intervention und einem diplomatischen Überraschungscoup am Rande von Obamas Nahost-Reise ist es zudem gelungen, die Eiszeit zwischen Ankara und Jerusalem zu beenden. Der irreversible Verlust der Türkei als regionaler Verbündeter wäre für Israel ein herber Schlag ins Kontor gewesen und hätte seine Isolation im Nahen Osten weiter verschärft.

Amerikaner zufrieden stellen - mehr nicht

Dass die USA in Sachen „Friedensprozess mit den Palästinensern“ wieder mehr Druck machen, scheint Israel bislang wenig zu beeindrucken. Aus Jerusalemer Sicht ist eine Wiederaufnahme der Verhandlungen zum gegenwärtigen Zeitpunkt weder besonders dringlich noch besonders opportun. Hinzu kommt, dass angesichts der akuten regionalen Krisen, vor allem des Bürgerkriegs in Syrien, eine Aussöhnung zwischen Israelis und Palästinensern auf der internationalen Tagesordnung weiter nach unten gerutscht ist. „Die israelische Regierung wird genug tun, um die Amerikaner zufrieden zu stellen. Mehr nicht“, prognostiziert ein israelischer Regionalexperte. Vorstellbar wären unter den gegebenen Umständen bestenfalls Teillösungen des jahrzehntealten Konflikts. Ein Endstatusabkommen halten die wenigsten Beobachter für realistisch.

Und last but not least: Israels Wirtschaft brummt. Die Start-up-Nation hat angesichts der globalen Finanzkrise erstaunliche Widerstandskraft bewiesen und mit deutlichen Wachstumsraten überrascht, auch wenn soziale Konflikte einen Schatten auf die wirtschaftliche Erfolgsgeschichte werfen. Darüber hinaus hat Israel mit der Förderung von Erdgas aus dem Off-Shore-Feld Tamar begonnen – für israelische Politiker wie Analysten Grund zur Hoffnung, dass das Land zunehmend unabhängiger von Erdöl- und Kohleimporten werden könnte.

Allen Kassandra-Rufen zum Trotz: kurz- bis mittelfristig ist es Israel gelungen, seine (Sicherheits-)Interessen auch angesichts der wachsenden regionalen Unsicherheit durchzusetzen und sich als wichtiger Akteur in der Region zu behaupten. Bleibt zu hoffen, dass sich auch in Jerusalem die Erkenntnis durchsetzt: Langfristig bedarf es mehr als einer Politik, die ausschließlich auf Abschottung und militärische Überlegenheit setzt. Nicht neu, aber nach wie vor richtig. 

Nora Müller ist Programmleiterin im Bereich Internationale Politik der Körber Stiftung.

Nora Müller

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