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Libyen-Einsatz: Kein Modellfall für die NATO

Die NATO hat zwar entscheidend zum Sturz des Gaddafi-Regimes beigetragen, schreibt Marco Overhaus von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Doch es wäre illusorisch und gefährlich, die Intervention in Libyen zu einem neuen Leitstern der Bündnispolitik zu machen.

Die militärischen Erfolge der Nato in Libyen sollen dem Bündnis als Vorlage für seine künftige Orientierung dienen: Diese Aufforderung schwingt derzeit in den Bemerkungen führender westlicher Politiker mit, auch der neue US-Verteidigungsminister Leon Panetta war beim Treffen der NATO-Verteidigungsminister in Brüssel Anfang Oktober so zu verstehen. Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen hatte zuvor bereits die Mitgliedstaaten ermahnt, ihre verteidigungspolitischen Anstrengungen zu verstärken, um in Zukunft besser auf Situationen wie in Libyen reagieren zu können. Ein neues Leitmotiv für die NATO wird dringend gesucht, nachdem sich die Ideen der „Transformation“ à la Donald Rumsfeld oder der Aufstandsbekämpfung (counterinsurgency) als Spaltpilz im Bündnis entpuppten und allmählich in der Versenkung verschwanden.

Das „Modell Libyen“ stellt den Bündnispartnern Verheißungsvolles in Aussicht, nämlich die Möglichkeit, mit begrenzten militärischen Luftschlägen einen Regimewechsel zu unterstützen, um anschließend entscheidenden politischen Einfluss auf die Nachkriegsordnung zu nehmen. Besonders attraktiv ist dieses Modell, weil es ohne Bodentruppen zur militärischen Aufstandsbekämpfung und zur Unterstützung von Staatsaufbau auszukommen scheint. Der andauernde Krieg in Afghanistan ist dabei in weite Ferne gerückt.

Zweifellos hat die militärische Intervention entscheidend zum Sturz Gaddafis beigetragen. Es gibt Grund für Hoffnung, dass nach dem Ende des alten  Regimes nicht neues Chaos und Gewalt folgen. Das alles ändert jedoch nichts daran, dass es nicht nur illusorisch, sondern auch gefährlich wäre, die Vorgehensweise in Libyen zu einem neuen Leitstern der Bündnispolitik zu machen.

Die zentralen Erfahrungen aus Irak, Afghanistan oder Kosovo gelten weiter. Lesen Sie weiter auf der nächsten Seite.

Die Allianz hat sich nicht nur – wie von der UN-Resolution 1973 mandatiert – um den Schutz von Zivilisten sowie die Durchsetzung des Waffenembargos und der Flugverbotszone bemüht. Sie diente darüber hinaus faktisch auch als „Luftwaffe“ für die libyschen Rebellen, die zudem von einzelnen Bündnispartnern technisch und mit Waffen unterstützt wurden. Dieser Ansatz erwies sich als effektiv, weil die Machtbasis Gaddafis brüchiger war, als von vielen zunächst angenommen. Darüber hinaus etablierte sich mit dem Nationalen Übergangsrat ein – zumindest für die internationale Gemeinschaft – legitimer Partner.

Dennoch bietet Libyen keine Blaupause für künftige Konflikte, in denen sich der Westen mit militärischen Mitteln engagieren könnte. Vor allem wurde die zentrale Erfahrung, die der Westen zuvor in Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Irak und Afghanistan gemacht hat, nicht widerlegt: Wenn das Bündnis mit militärischen Mitteln interveniert, muss es auch darauf vorbereitet sein, in eine potentiell langwierige und risikobehaftete Nachkriegsphase hineingezogen zu werden.

In Afghanistan ist der von den USA zunächst verfolgte Ansatz des „leichten Fußabdrucks“ gescheitert. Die internationale Koalition unter Führung der USA stützte sich 2001 auf die sogenannte Nordallianz, um das Taliban-Regime zu stürzen. Danach war es angesichts der inneren Verhältnisse des Landes nicht möglich gewesen, sich auch beim Wiederaufbau des Landes auf diese Allianz zu verlassen. In Bosnien-Herzegowina unterstützte die NATO aus der Luft Bosniaken und Kroaten im Kampf gegen die Serben. Das Land wäre heute aber nicht relativ stabil, wenn das Bündnis damals nicht auch eine mehrere zehntausend Soldaten umfassende Friedenstruppe entsandt hätte.

Begrenzte Interventionsbereitschaft und schrumpfende Verteidigungshaushalte

Die Politik der NATO-Partner im Verlauf der Libyen-Krise hat erneut verdeutlicht, wie begrenzt der politische Wille und die Fähigkeiten zu einem umfassenden militärischen Engagement außerhalb des Bündnisgebietes sind. Die Bundesregierung steht besonders am Pranger, weil sie sich nicht nur militärisch verweigerte, sondern auch der UN-Resolution 1973 ihre Unterstützung versagte. Insgesamt haben sich nur sechs NATO-Staaten direkt an den Luftschlägen gegen Libyen beteiligt und nirgendwo gibt es die Bereitschaft für ein umfassendes militärisches Engagement nach dem Sturz Gaddafis (das zudem auch vom Nationalen Übergangsrat vehement abgelehnt wird).

Die Aufmerksamkeit der Regierungen in NATO und EU wird auf absehbare Zeit vor allem von der internationalen Schuldenkrise und deren innenpolitischen Folgen absorbiert werden. Die Verteidigungshaushalte werden unweigerlich weiter schrumpfen. Im amerikanischen Kongress wie in den europäischen Parlamenten sinkt die Bereitschaft für kostspielige Abenteuer im Ausland. All das mag man aus einer sicherheitspolitischen Perspektive begrüßen oder beklagen. Entscheidend ist jedoch, dass Libyen nicht zu der Illusion verleiten sollte, dass militärische Unterstützung für Regimewechsel zum Sparpreis zu haben sind. Dies wird immer ein riskantes Unterfangen bleiben mit weit reichenden Folgen für die betroffenen Gesellschaften und die intervenierenden Staaten. Auch nach Libyen gilt, dass es relativ leicht ist, einen Krieg zu gewinnen aber ungleich schwerer, den Frieden zu schaffen.

Marco Overhaus forscht an der Stiftung Wissenschaft und Politik unter anderem zur strategischen Transformation der NATO. Die Stiftung berät Bundestag und Bundesregierung in allen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik. Der Beitrag erscheint auf der SWP-Homepage in der Rubrik „Kurz gesagt“.  

Marco Overhaus

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