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Erobert? Übergelaufen? Prorussische Aufständische am Mittwoch auf einem ukrainischen Panzer in der ostukrainischen Stadt Kramatorsk.

© AFP

Nato und Russland: Der Westen hätte seine Glaubwürdigkeit verloren

Es war richtig, Länder des ehemaligen Warschauer Paktes in die Nato aufzunehmen. Denn der Westen im Allgemeinen und Deutschland im Besonderen hätte sich komplett unglaubwürdig gemacht, hätte man die Beitrittswünsche der Reformstaaten dauerhaft abgelehnt, meint unser Gastautor.

Vor 20 Jahren habe ich mich in der damaligen Debatte um die Nato-Osterweiterung gegen eine Ausdehnung der Atlantischen Allianz ausgesprochen. Mein Hauptgrund war, dass sich eine Aufnahme auch der halbasiatischen Atommacht Russland in westliche Strukturen, wie sie damals von nicht wenigen Experten propagiert wurde, als Illusion herausstellen würde. Ein Russland außerhalb der Nato könnte hingegen die Integration aller anderen europäischen Länder in die Allianz einschließlich ehemaliger Sowjetrepubliken kaum akzeptieren. Also müsste die Nato-Erweiterung irgendwo stoppen. Diejenigen Länder, die zwischen Nato und Russland verblieben, würden zwischen beiden Seiten umstritten bleiben. Anhaltende europäische Instabilität wäre die Folge.

Dieser Teil meiner damaligen Besorgnisse hat sich nun mit der Ukraine-Krise bewahrheitet. Und doch lag ich damals falsch. Denn es hat sich als richtig erwiesen, ehemalige Warschauer-Pakt-Mitglieder in atlantische Strukturen zu integrieren. Dies hat diesem Teil Europas einen großen Stabilitätszuwachs gebracht. Vor allem aber hätte sich der Westen im Allgemeinen und Deutschland im Besonderen komplett unglaubwürdig gemacht, hätte man die Beitrittswünsche der Reformstaaten dauerhaft abgelehnt.

Russlands Präsident Wladimir Putin warnt vor einem Bürgerkrieg in der Ukraine.
Russlands Präsident Wladimir Putin warnt vor einem Bürgerkrieg in der Ukraine.

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Zugleich sind wir nunmehr mit genau der Situation konfrontiert, die ich vor 20 Jahren bereits fürchtete: Russland, das seinen eigenen Weg geht und sich eher als Herausforderer des Westens denn als Partner sieht, ist dabei, seine eigene Einflusszone abzustecken. Da einige dieser Staaten, auf die es Moskau abgesehen hat – allen voran Georgien, aber auch Moldawien und mindestens der westliche Teil der Ukraine - sich nicht einer Neuauflage der Breschnew-Doktrin unterwerfen wollen, ist der Westen gefordert, Russland Paroli zu bieten.

Andernfalls steht wiederum seine Glaubwürdigkeit auf dem Spiel. Wie kann man überzeugend westliche Werte wie Pluralität, Rechtstaatlichkeit und Menschenrechte vertreten, wenn man Gesellschaften, die genau danach streben, ihrem Schicksal überlässt, nur weil sie das Pech haben, nahe an Russland zu liegen? Andererseits würde jede weitere Nato-Aufnahme Russland immer mehr in eine Gegnerschaft mit dem Westen bringen. Was also ist, besonders aus deutscher Sicht, zu tun?

1.      Rückversicherung. Die Besorgnisse der neuen Nato-Mitglieder, die über Jahrzehnte ihre eigenen bitteren Erfahrungen mit der damaligen Sowjetunion machten, sind ernst zu nehmen. Es ist konzeptionell richtig, dass Berlin mit Paris und Warschau das Weimarer Dreieck wiederbelebt. Das kann aber nur gelingen, wenn sich Polen ernst genommen fühlt. Warschauer Forderungen nach einer Stationierung von Nato-Truppen auf seinem Territorium muss man deswegen nicht sofort entsprechen. Dauerhaft ausschließen darf man einen solchen Schritt jedoch nicht.

2.      Energieabhängigkeiten rückgängig machen. Die strategische Entscheidung des ehemaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder, sich bewusst in eine Energieabhängigkeit von Moskau zu begeben, muss rückgängig gemacht werden. Nur so gewinnt Deutschland Handlungsspielraum gegenüber einem Russland zurück, das die damaligen Hoffnungen nach einer Verwestlichung bis auf weiteres nicht erfüllen wird. Dies wird dauern, aber die ersten Schritte müssen jetzt eingeleitet werden.

3.      Russisches Einflusszonendenken zurückweisen. Moskau muss klipp und klar deutlich gemacht werden, dass sein Denken und Handeln in Einflusssphären rückwärtsgewandt und inakzeptabel ist. Dort wo Regierende und Regierte nach Zusammenarbeit mit westlichen Strukturen streben, muss ihnen dies ermöglicht werden. Dies muss nicht unbedingt in einer NATO-Aufnahme münden; ein für alle Mal ausschließen darf man dies aber auch nicht.

4.      Diplomatie. Frieden und Stabilität in Europa sind dauerhaft nicht gegen Russland zu haben. Daher gilt es, den Dialog mit Moskau auch weiterhin zu suchen. Solange Putin der Auffassung bleibt, dass der eigene politische Erfolg eher gegen als mit dem Westen zu erreichen ist, bleibt dies ein schwieriges Unterfangen. Es ist jedoch alternativlos.

Der Autor leitet den Think Tank am Center for Security Studies des ETH Zürich.

Oliver Thränert

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