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Die Norweger haben gewählt: Zum ersten mal könnte die rechtspopulistische Fortschrittspartei in die Regierung kommen.

© dpa

Parlamentswahlen: Rechtspopulisten übernehmen Regierungsverantwortung in Norwegen

Die rechtspopulistische Fortschrittspartei wird nach den Parlamentswahlen in Norwegen wohl erstmalig Regierungsverantwortung übernehmen. Ob sie sich weiter mäßigt oder migrationsfeindliche Positionen salonfähig macht, bleibt abzuwarten.

Eine Mehrheit der Norweger möchte offenbar neue Gesichter an der Regierung sehen. Und das, obwohl es Norwegen wirtschaftlich gutgeht und sich die Bilanz der sozialdemokratisch geführten Koalitionsregierung des beliebten Ministerpräsidenten Jens Stoltenberg durchaus sehen lassen kann: Während seiner Amtszeit ist die Arbeitslosigkeit auf 3,3 Prozent gesunken, der Wert des staatlichen Ölfonds hat sich verdreifacht. Stoltenberg hat zudem das Land nach den im Jahr 2011 von Anders Behring Breivik verübten Terroranschlägen in Landesvatermanier umsichtig durch seine schwerste Nachkriegskrise geführt. Zwar sind die Sozialdemokraten wieder stärkste politische Kraft geworden. Regierungsverantwortung aber wird eine konservative Koalition übernehmen - voraussichtlich unter Beteiligung der rechtspopulistischen Fortschrittspartei.

Eine Zusammenarbeit mit der rechtpopulistischen Fortschrittspartei in Norwegen ist kein Tabu mehr

Zwar ist diese von ihren großen Wahlerfolgen von 2005 (22 %) und 2009 (22,9 %) mit 16,3 Prozent der Stimmen in diesem Jahr deutlich entfernt. Keine der Regierungsparteien büßte trotz teils deutlicher Verluste so viele Stimmen ein wie sie. Offenbar haben viele konservative Wähler angesichts der mittlerweile eher konservativ-gemäßigten Ausrichtung der Fortschrittspartei mit der konservativen wiedererstarkten (+ 9,7 %) Høyre lieber das Original gewählt. Dennoch hat die Fortschrittspartei dank der inzwischen kooperationsbereiten Høyre gute Chancen, an einer konservativ-bürgerlichen Regierung beteiligt zu werden. Entweder könnte sie Teil einer Drei- oder Vierparteienregierung unter Beteiligung der kleinen liberalen und/oder der christdemokratischen Partei werden oder mit Høyre eine von diesen beiden Parteien tolerierte Minderheitsregierung bilden. Die Fortschrittspartei ist demnach gleichzeitig Wahlverliererin und -gewinnerin. Ihr größter Sieg besteht wohl darin, dass eine Zusammenarbeit mit ihr kein Tabu mehr ist.

Rechtspopulistische Ressentiments trotz gemäßigten Auftretens

Die Fortschrittspartei hat über viele Jahre in der Opposition verharrt, zuweilen als deren stärkste Kraft. Dort hat sie die Rolle einer rechtspopulistischen Protestpartei eingenommen, die bewusst gegen den Stachel des stark konsensorientierten Parteienestablishment löckt und eben daraus ihre Popularität speist. 1973 als Steuersenkungspartei gegründet, hat sie sich jedoch unter ihrer damals neuen Vorsitzenden Siv Jensen seit 2007 gewandelt. In manchen Fragen tritt sie nun gemäßigter und weniger schrill auf und beginnt Züge einer konservativen Partei zu tragen. Offenbar ist sie kompromissfähiger und zur Übernahme von Regierungsverantwortung bereit - und wäre damit die erste rechtspopulistische Partei in Nordeuropa überhaupt, die diesen Schritt geht.

Die Hauptanliegen der Fortschrittspartei sind derzeit Steuersenkungen und eine Umverteilung des norwegischen Ölreichtums. Anders als die etablierten Parteien möchte sie mehr Geld für Infrastruktur, Soziales und Gesundheit ausgeben, anstatt für die Zukunft zu sparen. Ihre Anti-Immigrationshaltung äußert die Partei nicht mehr so offensiv, was auch den Anschlägen von 2011 geschuldet ist. Im Wahlkampf spielte die Zuwanderungsfrage nur eine untergeordnete Rolle. Zuletzt schien sich ein pragmatischer gemäßigter Flügel innerhalb der Partei gegenüber einem fundamentaleren durchzusetzen. Dennoch bedient sich die Partei nach wie vor immer wieder einwanderer- bzw. islamfeindlicher Ressentiments, wenn sie zum Beispiel eine weitere Verschärfung der ohnehin schon sehr restriktiven Asylpolitik oder, in scharfen Worten, die Ausweisung von Roma fordert. Dass eine Regierungsbeteiligung der Partei ausgerechnet infolge der ersten Parlamentswahlen nach den Anschlägen 2011 möglich wird, hat insbesondere für die Opfer von Utøya eine bittere Note.

Auch für die Christdemokraten ist die restriktive Einwanderungspolitik der Fortschrittspartei indiskutabel. Zudem gilt die Wirtschafts- und Steuerpolitik der Fortschrittspartei vielen als verantwortungslos. Wenngleich Høyre die bisherige Sparpolitik nicht antasten will, geht sie davon aus, die meisten Differenzen überbrücken zu können. Liberale und Christdemokraten sind da skeptischer. Ob sie ein Vierparteienbündnis als Koalitionspartner

mittragen oder nur eine Minderheitsregierung unterstützen, ist daher offen.

Können die Rechtspopulisten in Norwegen durch Regierungsbeteiligung eingehegt werden?

Durch eine Regierungsbeteiligung könnte der Wandlungsprozess der Fortschrittspartei zu einer gemäßigten konservativen Partei, die in erster Linie die Interessen der "kleinen Leute" vertritt, vollendet werden. Dafür spricht, dass sie als Regierungspartei Kompromisse eingehen muss, die ihre Positionen verwässern und ihre Konturen als Protestpartei weiter verblassen lassen. Die Wahrscheinlichkeit wird entsprechend größer, dass sie weitere Wähler an Høyre verliert. In der Tat sieht Høyre-Chefin Erna Solberg die Einbindung der Fortschrittspartei in eine Koalition als Möglichkeit, sie zu kontrollieren.

Doch die Fortschrittspartei hat auch Wähler, die sie wegen ihrer migrationsfeindlichen Haltung schätzen. Es ist nicht auszuschließen, dass sie, um diese zu halten, weiterhin auf entsprechenden Forderungen beharrt. Rechtspopulistische Positionen könnten eine noch breitere Akzeptanz finden oder gar die politische Debatte dominieren. Interessant ist der Vergleich mit Dänemark, wo genau das in den 2000er Jahren geschehen ist, als die dänische rechtspopulistische Volkspartei der konservativ-liberalen Minderheitsregierung als Mehrheitsbeschafferin diente und sie mit ausländer- und europafeindlichen Forderungen unter Druck setzte.

Tobias Etzold forscht an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) u. a. zu Nordeuropa und den deutsch-nordischen Beziehungen. Die Stiftung berät Bundestag und Bundesregierung in allen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik.

Tobias Etzold

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