zum Hauptinhalt
FDP-Chef Philipp Rösler und Euro-Rebell Frank Schäffler.

© dpa

Parteien und ihre Mitglieder: Die Basis nervt

In keiner Sonntagsrede fehlt bei Spitzenpolitikern das Lob der Parteibasis. Doch am liebsten wäre es ihnen, die einfachen Mitglieder würden Wahlkampf machen und ansonsten die Klappe halten – da sie beim Regieren stören. Über ein großes Missverständnis.

Philipp Rösler konnte es gar nicht abwarten. Noch trudeln bei der FDP die letzten Briefe der Mitgliederbefragung ein, noch sind die Stimmzettel nicht ausgezählt, aber für den Parteivorsitzenden steht bereits fest: Der Basisentscheid in Sachen Euro ist gescheitert. Weil sich offenbar nicht genügend Mitglieder der Partei beteiligt haben, hat die Befragung das laut Satzung erforderliche Quorum von 30 Prozent verfehlt. Der FDP-Chef kann aufatmen. Ob es mehr Ja- als Nein-Stimmen zum Euro-Rettungsschirm gibt, ist ihm nun egal. Es stört ihn auch nicht, dass die Initiatoren des Mitgliederentscheids ihm nun die Missachtung der Parteibasis vorwerfen. Wichtiger ist, Rösler kann vorerst Parteivorsitzender bleiben und der schwarz-gelben Bundesregierung bleiben neue Kapriolen erspart.

Die FDP ist längst nicht die einzige Partei, die sich derzeit mit ihrer Basis herumschlägt. Winfried Kretschmann, der politische Shootingstar des Jahres und erster grüner Ministerpräsident, muss in Stuttgart einen Bahnhof bauen, gegen den die Mitglieder und Wähler seiner Partei in Baden-Württemberg über Jahre aus vollem Herzen demonstriert haben. In der CDU fremdelt die Basis mit ihrer Parteivorsitzenden und Bundeskanzlerin, weil Angela Merkel bei ihrem Modernisierungskurs wenig Rücksicht nimmt auf die alten Gewissheiten der Partei und identitätsstiftende Bekenntnisse. Vor allem konservative Christdemokraten fühlen sich in ihrer Partei nicht mehr heimisch.

Die SPD wiederum feierte auf ihrem Parteitag in der vergangenen Woche ihren Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel für eine fulminante Rede. Gleichzeitig war die Parteitagsregie drei Tage damit beschäftigt zu verhindern, dass die Delegierten zu radikale Beschlüsse fassen und den voraussichtlichen Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück beschädigen. Denn der soll 2013 schließlich die Wähler für einen SPD-Wahlsieg mobilisieren, die nicht auf sozialdemokratische Bekenntnisse stehen, sondern auf seriöses Regierungshandwerk.

Selbst in der Linkspartei fragt sich die Parteispitze, wieweit sie der Basis trauen kann. Sie streitet derzeit darüber, ob sie den nächsten Parteivorsitzenden statt vom Parteitag von den Mitgliedern wählen lässt. Der Oberrealo Dietmar Bartsch will sich mithilfe des Basisvotums an die Spitze der Partei setzen. Die Chancen stehen nicht schlecht, schließlich wird er von den mitgliederstarken ostdeutschen Landesverbänden unterstützt. Ausgerechnet Oskar Lafontaine, der, wenn es ihm nützt, so gerne das Hohelied der innerparteilichen Demokratie singt, ist gegen das Basis-Votum. Schließlich könnte dieses seinen innerparteilichen Widersacher stärken. Lafontaine weiß genau, ein Mitgliederentscheid könnte das zwischen Realos und Fundis sowie zwischen Ost und West fein austarierte innerparteiliche Machtgefüge sprengen und seinen eigenen Einfluss in der Partei entscheidend schmälern.

Natürlich erklären Parteiführungen in ihren Sonntagsreden gerne, wie wichtig ihnen die Parteibasis ist. In Programmdebatten wird die innerparteiliche Willensbildung regelrecht inszeniert. Die Grünen propagierten in ihren Anfangsjahren sogar das Primat der Basisdemokratie, um sich von den etablierten Parteien abzugrenzen. Die Basis war der jungen Partei heilig, und wenn heute die Piratenpartei in der digitalen Welt die „Liquid Democracy“ propagiert, erinnert dies an die Anfangsjahre der Grünen.

Doch Basisdemokratie heißt mitnichten, dass es in der Partei dann demokratischer zugeht. Bei den Grünen zogen stattdessen in den Anfangsjahren informelle und nicht legitimierte innerparteiliche Zirkel oder Seilschaften die Strippen. Später dann hatten die Grünen einen heimlichen Parteivorsitzenden, der vor allem von seiner Beliebtheit bei den Wählern profitierte und der wusste, wie er die Medien zur Sicherung der eigenen Macht instrumentalisieren konnte. Darüber hinaus verfuhr Joschka Fischer nach dem Motto: „Ist mir doch egal, wer unter mir die Partei führt. “Immer wenn es ihm nicht mehr egal war, dann wurden die grünen Parteivorsitzenden demontiert und abserviert. Nach seinem Abschied aus der Politik bekannte Fischer schließlich, wie fremd ihm die grüne Partei sein ganzes politisches Leben gewesen sei. Seiner Karriere hat dies nicht geschadet.

Parteien und ihre Basis, das ist ein großes Missverständnis. Die Parteien werben ständig um neue Mitglieder, die Parteistrategen sind stolz auf eine mitgliederstarke Parteibasis. Doch eigentlich stören die Mitglieder nur, beim Regieren, bei der Kompromisssuche in Koalitionen und bei der professionellen Kommunikation mit den Wählern. Am liebsten wäre es den Parteioberen deshalb, wenn die Mitglieder an der Basis einen ordentlichen Beitrag an die Parteikasse entrichten, im Wahlkampf fleißig Flugblätter verteilen, aber ansonsten ihre Klappe halten. Vor allem dann, wenn sie regieren müssen.

Parteibasis repräsentiert weder die Bevölkerung noch die Wechselwähler

Stattdessen hängen viele Parteimitglieder auch dann, wenn die Macht erobert ist, an alten Überzeugungen, sie klagen Visionen ein, wo im Regierungsalltag politische Wendigkeit gefragt ist. Sie pochen auf Prinzipien, obwohl an der Parteispitze Machtopportunismus und Pragmatismus vorherrschen. Den Sozialdemokraten Gerhard Schröder kostete dieses Missverständnis die Macht.

Spitzenpolitikern ist ihre Basis eine Last. Sie müssen ständig bereit sein, aktuelle Ereignisse zu kommentieren und zu deuten. Sie müssen permanent im Stegreif Probleme lösen und vor allem bei internationalem Krisenmanagement hinter verschlossenen Türen Kompromissen zustimmen, die anschließend durchs Parlament geboxt werden. Für eine ausführliche Erörterung der eigenen Politik an der Parteibasis da bleibt in der Regel keine Zeit.

Das Missverständnis wird auch dadurch verstärkt, dass die Parteibasis längst nicht mehr die Bevölkerung und vor allem nicht die wahlentscheidenden Wechselwähler repräsentiert.Somit klaffen innerparteiliche Kommunikation und professionelle Wähler-Ansprache mittlerweile weit auseinander. Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel wollte, um diese Kluft zu überbrücken, Nichtmitglieder zumindest an der Kandidatenauswahl beteiligen. Ein Vorbild ist dabei sicherlich der Freund in Frankreich gewesen. Die Sozialistische Partei öffnete die Vorwahlen nicht nur für Parteimitglieder, sondern für alle Franzosen. Ein voller Erfolg – François Hollande setzte sich Präsidentschaftskandidat durch. Was in Frankreich funktionierte, scheiterte dagegen in Deutschland: Gabriel konnte sich aber gegen den Widerstand der SPD-Mitglieder nicht durchsetzen.

Auch eine andere wichtige Funktion nehmen die Parteien immer weniger wahr. Als die großen Parteien noch Volksparteien waren, da galten sie zugleich als Transmissionsriemen einer demokratischen Gesellschaft. Über die Parteien wurden Stimmungen und Interessen der Bevölkerung in die Politik getragen. Umgekehrt wurden Entscheidungen der großen Politik über die Mitglieder in große Interessengruppen und in die Milieus vermittelt. (Wiederholung)

Die Medienrevolution hat die Parteispitzen jedoch von ihrer Basis entfremdet. Früher konnten Politiker etwas berichten, wenn sie aus der Hauptstadt in ihren Wahlkreis zurückkehrten. Abgeordnete verfügten über Hintergrundwissen und exklusive Informationen. Wer davon etwas erfahren wollte, musste auf die Parteiversammlungen gehen, musste die Nähe der Politiksuchen. Inzwischen stehen die Politiker in Berlin unter journalistischer Dauerbeobachtung. Und so stellen sie bei Besuchen an der Basis fest, die Wähler glauben, schon alles zu wissen, weil sie die Talkshows von Günther Jauch oder Maybrit Illner gesehen haben.

Natürlich kommen Parteien ohne Mitglieder nicht aus, reine Medienparteien oder Honoratiorenparteien sind keine Alternative. Zumal die Parteien möglichst viele Mitglieder auch deshalb brauchen, um sich kommunalpolitisch zu verankern und um politischen Nachwuchs zu rekrutieren. Trotzdem: Je mehr sich die Politik beschleunigt, je mehr Einfluss die Medien auf die Politik gewinnen und je mehr Regierungshandeln von internationalen politischen Verflechtungen bestimmt wird, desto größer werden in den Parteien die Spannungen zwischen oben und unten. Parteien müssen lernen, mit diesen Spannungen umzugehen, die unterschiedlichen Anforderungen, Interessen und Kommunikationsstile professionell zu managen.

CDU und SPD haben dies zuletzt auf ihren Parteitagen versucht. Die Parteispitzen haben bestimmte innerparteiliche Debatten zugelassen, um anschließend mit geschickter Parteitagsregie und kämpferischen Reden die Positionen der Parteivorsitzenden Merkel und Gabriel zu stärken. Die FDP jedoch steht derzeit so stark unter Druck, dass sie im Spannungsfeld von Regierungsverantwortung, Stimmung an der Basis und Sperrfeuer der Medien kaum noch Handlungsalternativen hat. Wer die Basis jedoch so vor den Kopf stößt, wie es Rösler am Wochenende getan hat, der verschafft sich zwar kurzfristig politische Luft, tut sich mittelfristig hingegen keinen Gefallen.

Christoph Seils leitet die Online-Redaktion des Magazins Cicero. In diesem Jahr erschien sein Buch „Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien?“im WJS-Verlag. Er schreibt an dieser Stelle wöchentlich über die deutsche Parteienlandschaft.

Zur Startseite