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"Zwischen der sexuellen Orientierung und Identität einerseits und sexuellen Praktiken andererseits liegt ein himmelweiter Unterschied."

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Sexuelle Vielfalt: "Der Satz, Homosexualität sei Privatsache, ist nicht liberal"

Sexuelle Vielfalt akzeptieren? Klingt gut. Wer genauer hinsieht, denkt noch mal darüber nach, schrieb unser Redakteur Malte Lehming am vergangenen Wochenende. Aletta Gräfin von Hardenberg, Geschäftsführerin des Charta der Vielfalt, hat darüber nachgedacht. Ein Beitrag zur Debatte.

Neulich, beim Geschäftstermin, habe ich ungefragt etwas sehr Persönliches über mein Gegenüber erfahren. Ehering am Finger, zwei Kinderfotos im Timer: Ganz offen hat sich mein Gegenüber zu seiner Heterosexualität bekannt. Das wäre nicht weiter erwähnenswert, drehte sich die gesellschaftspolitische Debatte derzeit nicht im Kern um genau diesen Ausdruck menschlicher Sexualität. Können, dürfen, sollen andere Formen der sexuellen Orientierung genauso selbstverständlich sichtbar sein – im Privaten sowie im Berufsleben?

Der Tagesspiegel liegt in seinem Beitrag "Was geht, wenn alles geht" mit einer Feststellung völlig richtig: Wir führen eine emotionale Debatte über ein wenig umrissenes Thema. Wo die einen den vorurteilsfreien Ausdruck sexueller Orientierung und Identität meinen, sprechen die anderen von sexuellen Praktiken, die sie nicht der Öffentlichkeit – schon gar nicht im Klassenzimmer – erörtern möchten. Die Folge dieses Missverständnisses: Viele Menschen interpretieren in ein Outing eine Information, die nicht im mindesten Teil der Botschaft ist.

"Ein himmelweiter Unterschied"

Ex-Nationalspieler Thomas Hitzlsperger, eine Person der Öffentlichkeit, hat angekündigt, in dieser Öffentlichkeit gegebenenfalls mit einem gleichgeschlechtlichen Partner aufzutreten. Nichts hat er darüber gesagt, welchen Sex er praktiziert. Diese Gleichsetzung entstammt ausschließlich der Gedankenwelt seiner Rezipienten. Das Outing allein liefert uns dazu keinen Hinweis.

Aletta Gräfin von Hardenberg, Geschäftsführerin des Charta der Vielfalt.
Aletta Gräfin von Hardenberg, Geschäftsführerin des Charta der Vielfalt.

© promo

Zwischen der sexuellen Orientierung und Identität einerseits und sexuellen Praktiken andererseits liegt also ein himmelweiter Unterschied, der vor allem verschiedene Sphären betrifft. Eine Praktik vollzieht sich in der Intimsphäre und hat unter Wahrung der gesetzgeberischen Grenzen die Öffentlichkeit rein gar nichts zu interessieren. Sexuelle Orientierung und Identität aber drücken sich in der Öffentlichkeit aus. Wo Beziehungen sichtbar sind, legen Menschen immer auch ein Bekenntnis ab. Das wollen homo-, bi-, trans- und intersexuelle Menschen auch. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

"Jeder kann selbst entscheiden, was er für sich behält"

Wenn wir das eine vom anderen unterscheiden, wird überdeutlich, worin die alltägliche Diskriminierung nicht heterosexueller Menschen besteht. Sie liegt in dem hartnäckigen Versuch, ihre Orientierung und Identität auf die Praktik zu beschränken und damit aus dem öffentlichen Raum zu verbannen. Der Satz, die Homosexualität Hitzlspergers sei dessen Privatsache, ist nicht liberal. Er ist diskriminierend, weil er wesentlich gleiche Dinge ungleich behandelt und die Souveränität menschlicher Identität untergräbt. Jeder Erwachsene muss selbst entscheiden dürfen, was er über seine Persönlichkeit preisgibt – und was er lieber für sich behält.

Schulen können und sollen auch künftig nicht der Ort dafür sein, sexuelle Praktiken detailliert zu erörtern. Das sieht auch der Bildungsplan 2015 in Baden-Württemberg nicht vor. Wohl aber ist Teil ihres Bildungsauftrages, junge Menschen mit der gesellschaftlichen Vielfalt vertraut zu machen und über Diskriminierung aufzuklären. Ich möchte in einer Gesellschaft leben, in der Menschen ihre Identität in all ihren Facetten frei entfalten dürfen, ohne dabei auf Vorurteile zu stoßen. Welche sexuellen Praktiken sie bevorzugen, soll dabei ihre Privatsache bleiben.

Die Autorin ist Geschäftsführerin der Charta der Vielfalt e.V. mit Sitz in Berlin. Die Wirtschaftsinitiative unter Schirmherrschaft der Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) setzt sich für eine vorurteilsfreie, wertschätzende Arbeitskultur in Deutschland ein. Die gleichnamige Selbstverpflichtung haben bislang bundesweit mehr als 1750 Unternehmen mit 6,7 Millionen Beschäftigten unterzeichnet.

Aletta Gräfin von Hardenberg

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