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Erfolgreich vermittelt. Der deutshce Außenminister Frank-Walter Steinmeier (mitte) in der Ukraine mit den politischen Gegnern Vitali Klitschko (l.) und Viktor Janukowitsch.

© AFP

Ukraine: Die neue deutsche Außenpolitik hat ihren Preis

Die Ukraine hat gezeigt, was deutsche Diplomatie erreichen kann, wenn sie selbstbewusst auftritt. Aber wer deutschen Interessen in der Welt mehr Gewicht geben will, muss auch mehr riskieren. Nicht nur diplomatisch, sondern auch militärisch.

Jetzt sind alle voll des Lobes über Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Mit hohem politischen und persönlichen Einsatz und viel diplomatischem Geschick hat dieser in der vergangenen Woche in der Ukraine einen Bürgerkrieg verhindert.

Flankiert von seinem französischen und seinem polnischen Amtskollegen war der Sozialdemokrat nach Kiew gereist, hatte Regierung und Opposition an den Verhandlungstisch gezwungen und den Kontrahenten ein Abkommen abgerungen. Aus Sicht von Steinmeier war es „die letzte Chance“, um die Spirale der Gewalt zu stoppen. Offenbar ist ihm dies gelungen. Steinmeiers diplomatischer Coup hat aber längst nicht alle Probleme des Landes gelöst.

Im Gegenteil, die Ukraine steht vor gewaltigen politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Herausforderungen. Aber er hat zumindest den Weg für eine demokratische Lösung der ukrainischen Krise geöffnet. Die alte Verfassung wurde wieder in Kraft gesetzt, Präsident Viktor Janukowitsch ist abgesetzt, die Waffen schweigen. All dies ist auch der Verdienst der Wiederentdeckung deutscher Diplomatiekunst.

Mit Guido Westerwelle und seiner Ohne-uns-Außenpolitik wäre dies nicht möglich gewesen. Der Steinmeier-Vorgänger ließ sich zwar noch im Dezember auf dem Maidan in Kiew von der ukrainischen Opposition feiern. Diplomatisch war der FDP-Politiker aber ein Leichtgewicht. Wohl kaum ein französischer Außenminister hätte sich an dessen Seite mit der Rolle des Sekundanten abgegeben. Schließlich ist Frankreich eine stolze Atommacht und bei den Vereinten Nationen eine selbstbewusste Vetomacht. Auch auf Russland wäre Westerwelles Einfluss eher gering gewesen.

Deutschland brachte die Wende in der Ukraine - nicht die EU

Die EU steht jetzt ebenfalls blamiert da. Zwar hatte sich die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton zuletzt immer wieder als Vermittlerin in der Ukraine angeboten. Nur nahm auch sie in Kiew offenbar niemand ernst. Als die Scharfschützen in der vergangenen Woche die Jagd auf Demonstranten eröffneten, war von ihr nichts zu hören und zu sehen. Nicht die EU brachte in der Ukraine schließlich die Wende, sondern Deutschland.

Die neue deutsche Außenpolitik bekommt also erste Konturen. Endlich kann man sich vorstellen, was sich die Große Koalition unter einer „aktiveren deutschen Rolle in der Welt“ vorstellt. Endlich wird die neue deutsche Außenpolitik nicht mehr auf die Frage reduziert: Was will die Bundeswehr in Afrika?

Drei Woche ist es her, da hielt der Bundesaußenminister auf der Münchner Sicherheitskonferenz eine viel beachtete, aber auch viel kritisierte Rede. „Deutschland ist eigentlich zu groß, um Weltpolitik nur von der Außenlinie zu kommentieren“, hatte Steinmeier dort erklärt. Deutschland wolle „Impulsgeber sein für eine gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik.“

Früher, entschiedener, substanzieller

Unterstützt wurde Steinmeier in München von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und Bundespräsident Joachim Gauck. Auch der Bundespräsident warb auf der Konferenz für mehr internationale Verantwortung, als guter Partner müsse sich Deutschland „früher, entschiedener und substanzieller einbringen“. Es lässt sich also mit guten Gründen von einer konzertierten Aktion der Großen Koalition sprechen.

Die Kritik war entsprechend heftig. Doch die meisten Kritiker arbeiteten sich reflexhaft vor allem an der Frage von Bundeswehreinsätzen im Ausland ab. Dass Steinmeier auf der Sicherheitskonferenz betont hatte, es gehe ihm vor allem um Krisenprävention und um die diplomatische Lösung von Konflikten, nahmen sie kaum zur Kenntnis.

„Weniger Truppen, mehr politische Konzepte“, forderte etwa der Ex-Verteidigungsstaatssekretär Walther Stützle bei Cicero Online. Dem Kurswechsel läge „eine überkommene Vorstellung von Sicherheit und Verantwortung zugrunde“, schrieb Jakob Augstein bei Spiegel Online, die kulturellen Konflikte der Gegenwart seien „mit Waffen nicht zu lösen“. Die Linke warf Steinmeier „Kriegstreiberei“ vor. Die Vorsitzende der Linkspartei, Katja Kipping, bezeichnete den Vorstoß als „Griff in die Mottenkiste“, die Kultur der militärischen Zurückhaltung gehöre zum Gründungskonsens der Bundesrepublik. Wer diesen angreife, „will eine andere Republik“.

Griff in die Mottenkiste

Doch wer so redet, hat nicht verstanden, dass Deutschland längst eine andere Republik ist und ein außenpolitischer Kurswechsel überfällig. Auch die Formulierung deutscher außenpolitischer Interessen darf kein Tabu mehr sein. Es reicht nicht mehr, sich außenpolitisch hinter der EU zu verstecken. Anders als Brüssel wird Berlin in Kiew und Moskau ernst genommen. Das haben die letzten Tage gezeigt.

Natürlich hat die neue deutsche Außenpolitik ihren Preis. Das zeigt sich schon jetzt in der Ukraine. Nachdem Steinmeier den ersten Schritt gegangen ist, wird nun erwartet, dass Deutschland auch in den kommenden schwierigen Monaten des politischen Umbruchs seine europäische Führungsrolle wahrnimmt. Dazu braucht es Mut und geostrategische Weitsicht.

Timoschenko muss auf Amt verzichten

Und zwar in zwei Richtungen. Einerseits wird es darum gehen, die siegreiche Opposition zur Mäßigung zu bewegen und zu verhindern, dass sich nun statt einer pro-russischen eine pro-europäische Machtclique den ukrainischen Staat zur Beute macht. Die Fehler, die nach der Orangenen Revolution 2004 gemacht wurden, dürfen sich nicht wiederholen. Ein Signal wäre es deshalb, wenn Steinmeier nun Julia Timoschenko dazu bewegen könnte, auf eine erneute Wahl zur Präsidentin zu verzichten. Andererseits gilt es, Russland davon abzuhalten, jetzt mit Unterstützung des pro-russischen Ostens auf eine Spaltung der Ukraine zu setzen. Das wird nur gelingen, wenn Moskau in neue Verhandlungen über ein EU-Assoziierungsabkommen einbezogen wird.

Gleichzeitig muss die Ukraine so schnell wie möglich ökonomisch stabilisiert werden. Schon ist von Hilfszahlungen in Höhe von 35 Milliarden Dollar die Rede. Deutschland wird als wirtschaftsstärkstes Land der EU davon einen großen Teil der Hilfszahlungen übernehmen müssen. Eine ordentliche Überweisung aus Berlin hilft nicht nur den Menschen in der Ukraine, sondern sie erlaubt es auch, die Frage zu stellen, was bekommt Deutschland dafür. Auch das gehört zu einer aktiven Außenpolitik.

Militär ist ein äußerstes Mittel

Und natürlich stellt sich am Ende auch die Frage von Bundeswehreinsätzen. Denn mehr politische Verantwortung heißt auch mehr militärische Verantwortung. Nicht sofort, aber irgendwann, vielleicht nicht in der Ukraine, sondern vermutlich anderswo. Aber wer dem Außenminister jetzt auf die Schulter klopft und ihm zu seinem diplomatischen Coup in Kiew gratuliert, sollte dies bedenken.

Wie sagte doch Steinmeier auf der Münchener Sicherheitskonferenz: „Der Einsatz von Militär ist ein äußerstes Mittel.“ Aber in der neuen deutschen Außenpolitik ist er ein Mittel.

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