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Prorussische Milizen an einer Straßensperre bei Donezk.

© dpa

Ukraine-Konflikt: Zeit für Stufe 3 der Sanktionen gegen Russland

Das Verhalten Russlands im Ukraine-Konflikt rechtfertigt das Einleiten der dritten Sanktionsstufe, meinen unsere Gastautoren. Dies könnte sich auch günstig auf die Reformbestrebungen in der Ukraine auswirken.

Der bewaffnete Konflikt im Osten der Ukraine spitzt sich weiter zu. Nach Angaben des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte (UNHCR) sind im Zuge der Kampfhandlungen bislang 356 Menschen zu Tode gekommen. Einen bisherigen Eskalationshöhepunkt stellt der Abschuss eines ukrainischen Militärflugzeuges dar, bei dem am 14. Juni 49 Menschen starben. Neben regulären Streitkräften des ukrainischen Militärs sowie irregulären bewaffneten Akteuren finden sich unter den Todesopfern vor allem auch Zivilisten.

Wie der aktuelle Bericht der Beobachtermission des UNHCR festhält, richten sich kriminelle Aktivitäten wie Entführungen, Folter und Tötungen zudem nicht mehr nur gegen Journalisten, Staatsbedienstete und Aktivisten, sondern betreffen mittlerweile auch die breite Bevölkerung rund um die Gebiete der selbsternannten "Volksrepubliken" von Donezk und Luhansk.

Die eklatante Verschlechterung der Menschenrechtssituation im Osten der Ukraine führt zu wachsenden Flüchtlingsbewegungen. Das UNHCR geht davon aus, dass es in der Ukraine schon heute knapp 35.000 Binnenflüchtlinge gibt. Neben Krim-Flüchtlingen sind dies etwa 15.000 Menschen aus den umkämpften östlichen Gebieten.

Russland bestärkt die Separatisten in ihrem Handeln

Die Möglichkeiten einer friedlichen Konfliktlösung werden mit zunehmender Dauer der Kampfhandlungen abnehmen. Auch wenn die russische Führung immer wieder abstreitet, auf die Rebellen Einfluss nehmen zu können, trägt sie maßgeblich zur Eskalation des Konfliktes bei. Indirekt, indem sie zulässt, dass sich Freiwilligenverbände in Russland formieren und die russisch-ukrainische Grenze übertreten. Sowohl internationale Beobachter als auch selbsternannte Vertreter der "Donezker Volksrepublik" bestätigen, dass sich bewaffnete Gruppierungen, etwa aus dem Nordkaukasus oder der Region Rostow, an den Kämpfen in der Ostukraine beteiligen.

Man kann zudem vermuten, dass auch direkte Unterstützung aus Russland im Spiel ist. Schlüsselakteure der Separatisten wie Aleksandr Borodaj und Denis Puschilin, der eine selbsternannter "Ministerpräsident", der andere "Parlamentssprecher" der "Donezker Volksrepublik", pflegen regelmäßig Kontakte nach Moskau. Zwar lassen sich Aussagen wie die Puschilins, dass Vladislav Surkow, ein einflussreicher Mitarbeiter der russischen Präsidialadministration, ihr direkter Ansprechpartner und Unterstützer im Kreml sei, nicht verifizieren.

Es spricht aber für sich, dass sich die russische Führung bislang nicht öffentlich von den separatistischen Bestrebungen distanziert. Es ist auch alles andere als ein Signal der Deeskalation, dass das russische Verteidigungsministerium die Rückzugspläne russischer Truppen von der ukrainischen Grenze revidierte. Hinzu kommt, dass die Genehmigung des russischen Föderationsrats für einen Einmarsch in die Ukraine vom 1. März nach wie vor Gültigkeit hat. All dies bestärkt die Separatisten in ihrem Handeln.

Zwar hat Russland in den letzten Wochen durch einige taktische Schritte den Eindruck erweckt, dass es eventuell bereit sei, an einer Beruhigung der Situation mitzuwirken. Das Gesamtbild spricht allerdings dafür, dass hinter dieser Taktik eine Strategie der andauernden Destabilisierung der Ostukraine steht. So hat Russland zwar den ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko anerkannt. Dieser kann sich aber nicht auf einen Reformkurs konzentrieren, solange der Osten sich in einer Art Kriegszustand befindet.

Und obwohl sowohl der Präsident des Europäischen Rates Herman Van Rompuy als auch die Mitglieder der G7 in ihrem Communiqué vom 4. Juni fordern, dass Russland seine Grenzen zur Ukraine kontrollieren und den Transport von Waffen, Munition und Kämpfern in die Ukraine verhindern soll, nimmt deren Zahl stetig zu. Mehr noch: Russland nutzt die sich verschlechternde Lage als Begründung dafür, einige tausend Soldaten in der Nähe der ukrainischen Grenze aufmarschieren zu lassen.

Alle Voraussetzungen für Stufe 3 der Sanktionen sind gegeben

Laut den EU-Ratsschlussfolgerungen vom 17. März soll eine weitere Destabilisierung der Lage in der Ukraine durch Russland mit einer Reihe von breiteren Wirtschaftssanktionen, der sogenannten »dritten Stufe« der Sanktionen, geahndet werden. Die Voraussetzungen hierfür sind eindeutig gegeben. Weitreichendere Sanktionen sind nicht nur dringend notwendig, um Russland vor Augen zu führen, dass sein Verhalten in der Nachbarschaft hohe Kosten für das Land und seine Elite verursacht.

Sie würden zudem die anhaltende Geschlossenheit der EU beweisen, die in Russland durchaus angezweifelt wird. Dabei ist es wichtiger, dass die dritte Stufe eingeleitet wird, als dass sie sofort massiv ausfällt. Wie im Fall der zweiten Sanktionsstufe, bei der es um die Verweigerung von Visa und das Einfrieren von Konten einiger ukrainischer und russischer Akteure ging, können auch Wirtschaftssanktionen schrittweise eingeführt werden.

Es ist davon auszugehen, dass ein stärkerer Druck auf Russland auch die russische Bereitschaft steigern würde, sich an den Verhandlungstisch zu begeben bzw. sich in einigen Fragen kompromissbereit zu zeigen. Denn Sanktionen sind nur eine Komponente der EU-Strategie gegenüber Russland und der Ukraine. Darüber hinaus soll versucht werden, auf mehreren Ebenen zu verhandeln, und die Ukraine soll politisch und wirtschaftlich unterstützt werden.

Zwischen diesen drei Komponenten – Sanktionen, Verhandlungen und Unterstützung der Ukraine – gibt es durchaus Wechselwirkungen. Unterbleiben weitere Sanktionen, entsteht bei Russland der Eindruck, die EU sei schwach und zerstritten. Entsprechend gäbe es kaum einen Anreiz für die russische Elite, ihr Verhalten zu ändern. Die Wirtschaftssanktionen könnten auch die ukrainische Seite zu Reformen ermutigen.

Nimmt die ukrainische Elite wahr, dass die EU nicht nur bereit ist, finanziell zu helfen, sondern auch den Druck auf Russland erhöht, wird sie mehr Vertrauen haben, dass ein Reformkurs nicht durch Russland sabotiert werden kann. Wirtschaftssanktionen konterkarieren die bisherigen Schritte des übergreifenden Krisenansatzes der EU nicht. Sie würden sie ganz im Gegenteil ergänzen.

Steffen Halling und Susan Stewart forschen an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) u.a. zur Innen- und Außenpolitik der Ukraine. Susan Stewart ist stellvertretende Leiterin der Forschungsgruppe Osteuropa und Eurasien. Die Stiftung berät Bundestag und Bundesregierung in allen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik. Der Artikel erscheint auf der SWP-Homepage in der Rubrik Kurz gesagt.

Steffen Halling, Susan Stewart

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