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Ein Bundespräsident, der sich nicht wohlfühlt.

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Verhaltensanalyse: Horst Köhler: Gehen und Standhalten

Machte seine Angst Horst Köhler so beliebt bei den Bürgern? Eine Analyse der Körpersprache und Verhaltensmuster des scheidenden Bundespräsidenten.

Seine Augen kaum merklich aufgerissen. Sein Blick leicht gehetzt und doch fixiert. Die Lippen zusammengepresst. Sein Gesicht zur Maske erstarrt: Horst Köhler sitzt am 23.5.2004 als neuer Bundespräsident zwischen den strahlenden, ihm applaudierenden Merkels, Stoibers und Westerwelles. - Um dann am 1.7.2004 bei seiner ersten Rede im Bundestag gerade die zu umwerben, die ihn nicht gewählt haben.

Dieser Mann hatte damals unbewußt Angst. Dieser Mann hat Angst. Und es scheint, als wäre diese Angst eins seiner Verhaltensmuster. Köhlers Sensibilität für Angst macht ihn aber auch so sympathisch, so unkonventionell und so geheimnisvoll. Manche bezeichnen dies nach seinem gestrigen Rücktritt aber als entsetzliche, unverzeihliche Unberechenbarkeit. Er vertiefe, so Gysi, sogar noch die Krise der Regierung.

So aber funktioniert Politiker-Bashing.

So spricht man aber auch aus enttäuschtem eigenen Kalkül. Aus einem politischen Kalkül, das nicht dazu lernen will. Weil es unfähig ist, mit einem eigenwilligen Menschen klarzukommen. Mit einem Bundespräsidenten, der die Herzen der Menschen erreicht hat.

Köhler stört eben. Und er will stören. Er will aufrütteln, indem er sich vor die Menschen stellt. Gegen das eigene politische Milieu?

Auf die Frage im gestrigen ARD-Brennpunkt an Angela Merkel, welche Kriterien ein neu zu wählender Bundespräsident denn haben müsse, wich sie einer konkreten Antwort mit dem Hinweis aus, er müsse eben "geeignet sein". Geeignet, so scheint es, um ins unausgesprochene eigene Kalkül zu passen.

Der neue Bundespräsident, so die Gazetten vom Dienstag, müsse nah am Menschen sein. Eben ein Konsenspolitiker, der, in sich ruhend, den Menschen Demokratie erklärt. Aber war Köhler nicht nah am Menschen? Hat er nicht als einer der ersten aus der politischen Prominenz mit dem mahnenden, stellvertretenden Zeigefinger besagter Menschen auf die Gier der Marktwirtschaft gezeigt?

2004: Guido Westerwelle gratuliert Horst Köhler zur Wahl zum Bundespräsidenten.
2004: Guido Westerwelle gratuliert Horst Köhler zur Wahl zum Bundespräsidenten.

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Köhler war unbequem für die Regierung. Köhler blieb letztendlich ein Fremder im Berliner Politikbetrieb. Betrachtet man Köhlers Verhaltensmuster, scheint ihm als Mensch dieser Habitus jedoch nicht fremd zu sein. Unabhängig von all den politischen Ereignissen. Gerade weil Köhler Angst kennt, bleibt er letztendlich zu den Menschen in seinem politischen Milieu auf Distanz. Weiß er doch gerade um die Gefahren, die dort lauern. Weiß er doch auch um das schwarz-gelbe Kalkül, das ihn 2004 und 2009 gerade in die Position gehievt hat, die er jetzt mit brüchiger Stimme und einem wachen, direkten, prüfenden Blick auf sein Gegenüber bei der Pressekonferenz gerichtet abrupt hinter sich lässt.

Ihm habe "der Respekt für das Amt des Bundespräsidenten gefehlt", betont er aus der präsidialen Rolle. Um dann als Mensch, ohne Worte, dem politischen Milieu dessen eigenen Offenbarungseid zu spiegeln. Was da heißt: im Berliner Politik-Theater bei all dem laut tönenden Rollenspiel nicht mehr genügend die Menschen zu sehen. Nicht sehen zu können.

Aber Politiker sind auch Menschen!

Natürlich ist Köhler dünnhäutig. Na und? Natürlich hat er sich nicht so bewegt, wie man es von ihm erwartet hatte, als man ihn durch das oberste Amt im Staat verführen wollte. Na und? Natürlich hat er Fehler gemacht. Na und? Natürlich war er nicht immun gegen Kritik. Na und? Erweist sich etwa die Kompetenz von Politik in der Immunität Kritik gegenüber?

Politik kann in der causa Köhler nur mühsam die eigene Unfähigkeit kaschieren, die Menschen zu verstehen (verstehen zu wollen?). Den Menschen Köhler in der Rolle des Bundespräsidenten zu verstehen. Man würde dann nämlich nicht über Köhler sagen, er hätte "den Lafontaine gemacht". Einerseits ist dies despektierlich einem Mann gegenüber, der am Montag noch oberster Repräsentant unseres Landes war. Andererseits ist eine solche Bemerkung eben Ausdruck besagter Unfähigkeit, den Menschen nicht nur in seiner Rolle sondern auch mit seinen ihm typischen Verhaltensmustern zu sehen. Man könnte fast meinen, Politik würde das Wissen darum, wie Menschen ticken, wie sie sich verhalten und auf einander beziehen, dem kalkulierten politischen Rollenspiel geopfert haben.

Die hitzige Debatte über Köhlers Radiointerview scheint nur der Stein des Anstoßes zu sein, um die Krise des politischen Milieus, projiziert auf den zurückgetretenen Bundespräsidenten, nicht selbst verantworten zu müssen. Die Wiederholung des Zitats in dieser Debatte trägt dabei auch Züge eines kriegerischen Mantras.

Zur Person
Ulrich Sollmann (www.sollmann-online.de) arbeitet als Berater und Coach in Wirtschaft, Politik und Industrie. Er ist Inhaber einer Praxis für Körper-Psychotherapie und bioenergetische Analyse in Bochum. Sollmann ist Begründer von charismakurve.de, einer Website, auf der Internetuser die Ausstrahlung von Spitzenkandidaten bewerten. Zudem publiziert er in verschiedenen Medien.

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