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Abgang. Die Marke Christian Wulff ist stark beschädigt.

© Reuters

Vertrauen dahin, Marke zerstört: Warum den Bundespräsidenten niemand mehr kaufen würde

Die Affäre um Christian Wulff weist Parallelen zum Fall Karl Theodor zu Guttenberg auf, schreibt Markenexperte Mike Kleiß. Beide Politiker haben auf Vertrauen gesetzt - und anscheinend den Bezug zur Realität verloren.

Die Weihnachtsansprache des Christian Wulff dürfte kaum noch jemanden interessieren. Mit der Kernbotschaft, Zusammenhalt in der Gesellschaft, lockt man spätestens nach Wulffs persönlicher Erklärung vom Donnerstag keinen ordentlichen Häuslebauer mehr hinter dem Weihnachtsofen hervor. Dem öffentlichen Druck konnte Wulff eindeutig nicht mehr Stand halten.

Hinter den Kulissen des Schloss Bellevue müssen sich seit Tagen chaotische Szenen abgespielt haben, während der Erklärung musste sich Wulff immer wieder am Rednerpult festhalten, wirkte gezeichnet. Im Vordergrund stand für Wulffs Fans, Gegner und auch für viele Medien seine Entschuldigung, wenn sich auch alle darüber einig sind, dass diese einige Tage zu spät kam. Dabei haben wenige bemerkt, was für eine Dramatik wirklich in der persönlichen Erklärung steckte.

Ähnlich wie im Fall Karl Theodor zu Guttenberg hat auch Christian Wulff den Bezug zur Realität anscheinend gänzlich verloren. Konkret: "Ich weiß um meine Verantwortung als Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland. Ich werde das Amt auch in Zukunft gewissenhaft und mit ganzer Kraft ausfüllen...ich bitte die Bürgerinnen und Bürger auch künftig um ihr Vertrauen", sagte Wulff unter anderem in seiner Rede.

Man muss bezweifeln, ob sich der Bundespräsident wirklich seiner Verantwortung bewusst war und ist. Verantwortung bedeutet, Fehler nicht nur einzugestehen, sondern auch dafür die Konsequenzen zu tragen. Und weitere Fragen müssen erlaubt sein: wenn er sich seiner Verantwortung bewusst ist, kann er dann so handeln? Darf er die Unwahrheit sagen? Und...darf er in Kauf nehmen, das Amt des Bundespräsidenten nachhaltig zu schädigen? Hatte er in den letzten Tagen wirklich die Kraft, das Amt auszuführen? Er bittet um Vertrauen, denn er weiß, dass er auch nach den letzten Umfragen genau das nicht mehr hat.

In der Sache zwar völlig verschieden, gibt es doch zum Fall zu Guttenberg große Schnittmengen. Sowohl zu Guttenberg als auch Wulff scheinen einen gewissen Hang und Drang nach mehr Schein als Sein zu haben. Zu Guttenberg fälscht seine Doktorarbeit, Christian Wulff kauft ein Haus, für das er eigentlich kein Geld hat. Und eventuell auch gar keinen Kredit von der Bank bekommen würde. Beide sonnen sich im Glamour und der Schönheit ihrer Ehefrauen, sind sie doch selbst recht blass.

Einflussreiche Freunde scheinen für beide enorm wichtig, da tut es auch gut, wenn die Freunde Geld haben, auch wenn man selbst nicht mithalten kann. Sowohl Wulff als auch zu Guttenberg sind anscheinend von der Macht getrieben. So sehr, dass zwar beide fähig sind sich zu entschuldigen, das wird auch zur Kenntnis genommen. Aber irgendwie will beiden niemand so richtig Glauben schenken. Man wird das Gefühl nicht los, als könnten beide von der Macht des "einen Rings", ähnlich wie im Mythos "Der Herr der Ringe" einfach nicht lassen. Man könnte es auch schlicht als Vertrauensverlust bezeichnen. Soweit so schlimm. Wenn genau hier nicht ein entscheidendes Problem wäre. Unter Markengesichtspunkten haben sowohl zu Guttenberg als auch Christian Wulff ihren eigens entwickelten Markenkern zerstört. Beide haben auf Glaubwürdigkeit und Vertrauen gesetzt. Und beide haben genau dieses Gut selbst pulverisiert. Betrachtet man zu Guttenberg und Christian Wulff einmal als Verbrauchermarken, wird das ganze Ausmaß der Tragödie erst richtig sichtbar.

Vertrauen entscheidet über Erfolg oder Misserfolg

Der Erfolg von Produkten oder Marken hängt immer und fast ausschließlich von Vertrauen ab. Ob der Konsument einem Unternehmen und dessen Marken nun vertraut oder nicht, liegt in erster Linie an der wahrgenommenen Qualität der Marke, vor allen Dingen aber an der Verlässlichkeit, der Kompetenz, der Transparenz und der Offenheit dem Konsumenten gegenüber. Alles Indikatoren, die vom Unternehmen selbst gesteuert werden können. Starke Marken sind Marken, die eine Leitposition einnehmen, praktisch Leuchttürme, an denen sich der Konsument orientieren kann. Guttenberg und Wulff haben sich selbst sehr gerne in der Funktion des Leuchtturms gesehen, haben jedoch gegen die allgemeingültigen Regeln der Bildung von Vertrauenskapital verstoßen. Ist das Vertrauen einmal zerstört, leidet auch die Marke direkt darunter, die Verkaufszahlen nehmen rapide ab.

Für sein Comeback setzt zu Guttenberg auf ein sehr neues Konzept der Markenbildung. Man könnte es Marken oder Marketing 2.0 nennen. Ein Konzept, auf das auch der ehemalige Wulff Berater Glaeseker jahrelang gesetzt hatte. Und machte den heutigen Bundespräsidenten damit groß. Bis Donnerstag. Kurz vor Wulffs persönlicher Erklärung musste Olaf Glaeseker seinen Hut nehmen.

Gehen wir einmal ins Detail dieser neuen Form des Markenaufbaus. Das Comeback zu Guttenbergs schien perfekt vorbereitet worden zu sein. Eine Armada von PR und anderen Beratern hatte anscheinend ganze Arbeit geleistet. Die Strategie und Dramaturgie wurde beinahe minuziös geplant. Es ging um viel: das Inszenieren der Rückkehr des verbrannten Lügenbarons. Eine Teufelsaufgabe für jeden PR Berater. Große Manager wie Josef Ackermann, Steve Jobs, Bill Gates oder Mark Zuckerberg - sie alle sind das Produkt des "Marketings 2.0", einer völlig neuen und sehr modernen Art des Marketings. Heute werden Manager als Marke positioniert, die mehr sind als nur reine Markenbotschafter. Sie haben nur eines im Sinn: das Ich-Marketing. Der Manager als Marke soll zur Identifikationsfigur werden, zum Vertrauensanker, zum Werbetreiber, als Turbo der Kommunikation. Auch in Deutschland beschäftigen sich mit diesem "Marketing 2.0" bereits sehr angesehene Agenturen.

Von dieser neuen Technik war auch Karl Theodor zu Guttenberg begeistert. Vor der Plagiatsaffäre setze er die Vorgaben seiner Berater perfekt um. Er war fest davon überzeugt, eine Marke zu werden. Getrieben von Eitelkeit, Ehrgeiz und Macht. Und für sein Comeback wählte er nun wieder das Modell "Marketing 2.0"! Eine Grundregel, damit dieses Markenkonzept jedoch aufgeht ist: "je vertrauter der Manager als Marke ist, je glaubwürdiger sein Markenversprechen und je sichtbarer seine Markenwerte, desto kraftvoller kann der Manager wirken - im Unternehmen und in der Öffentlichkeit." So beschreibt es Frank Dopheide, Geschäftsführer der Agentur "Deutsche Markenarbeit".

Hält man sich diese Grundregel vor Augen, kann das Comeback von zu Guttenberg nicht mehr funktionieren. Das Vertrauen hat er verloren, die Glaubwürdigkeit ist dahin, auch sichtbar ist er nicht mehr. Im Gegenteil. Er tauchte in den USA zunächst einmal ab. Um es auf den Punkt zu bringen: sind Glaubwürdigkeit und Vertrauen zerstört, ist die Marke nicht mehr zu retten. Multipliziert wird der Schaden durch KT selbst. Denn er setzte vor allen Dingen auf einen explizit persönlichen Markenkern: die Glaubwürdigkeit! Somit explodierte tatsächlich die Basis seiner eigens erschaffenen Marke. Ein Totalschaden.

Man hatte sich für das Comeback viel vorgenommen. Nicht nur strategisch, auch inhaltlich. Um das "Marketing 2.0" auch stylish aufzuladen, riet man zu Guttenberg an Gewicht zuzulegen. Ein Trick vieler PR Berater, um den Manager reifer aussehen zu lassen, gesetzter, in sich ruhender. Dazu ein neuer Haarschnitt. Die konservative Gelfrisur wurde durch mehr Dynamik in Form der modischen Kurzhaarfrisur ersetzt. Alles kein Zufall. Aber noch kein Hexenwerk.

Guttenbergs entscheidender Fehler

Kommen wir zur Brille. Und hier könnte den PR-Strategen ein entscheidender Fehler unterlaufen sein. Es war davon auszugehen, dass der Ex-Minister natürlich gefragt werden würde: "wo ist die Brille, Herr zu Guttenberg?" Und natürlich wurde sie gestellt, mehrfach. Erstaunlich war seine Antwort darauf. In einem Spiegel-Interview verblüffte er mit den Worten: "Faktisch war es so, dass es einer reizenden indischen Ärztin bedurfte, die festgestellt hat, dass ich ohne Brille vollkommen ausreichend sehen kann"! Was ein wenig nach Wunderheilung klingt, scheint recht wenig glaubwürdig. Sollte - durch welchen dummen Zufall auch immer - herauskommen, dass KTZG jahrelang eine Brille mit Fensterglas getragen hat, um intelligenter und reifer zu wirken, empfohlen durch die selben PR-Berater, die nun auch sein Comeback geplant haben, entwickelt sich der einstige Polit-Shootingstar zu einem zweiten Lothar Matthäus. Von der Lichtgestalt zur Lachnummer.

Unter reinen Markengesichtspunkten befindet sich Christian Wulff ebenfalls im freien Fall. In Olaf Glaeseker verschwindet nicht nur einer von Wulffs engsten Freunden von der Bühne, Glaeseker gilt in internen Kreisen als Architekt der Marke Wulff. Er hat ihn beraten, er galt als trickreicher Stratege und hatte wohl Angst, dass die Berichterstattung auf das Privatleben des Bundespräsidenten übergreifen könnte. Bleibt die Frage, welche Enthüllungen vermutet Olaf Glaeseker? Lauern am Ende im Hintergrund Fakten, die auch einen Christian Wulff ins völlige Abseits katapultieren können?

Einer wie Glaeseker weiß natürlich, dass es nahezu unmöglich ist, eine verbrannte Marke zu retten. Selbst Markenspezialisten tun sich mit einer solchen Aufgabe schwer. Und wenn es überhaupt gelingt, dann nur mit sehr viel Zeit und Know How. Beides hat der Bundespräsident eigentlich nicht. Markenbildung setzt vor allen Dingen Identifikation voraus. Und derzeit können sich nicht einmal die mit Wulff identifizieren, die ihn einst ins Amt gehoben haben.

Von der Opposition wollen wir spätestens seit Donnerstag gar nicht sprechen. Der Bundespräsident wird allenfalls noch geduldet, im Grunde die Höchststrafe. Angela Merkel muss unbedingt verhindern, dass in ihrer Amtszeit wieder ein neues Staatsoberhaupt gefunden werden muss. Denn dann würde die Markenbeschädigung auch auf sie selbst übergreifen. Beim Vertrauensverlust in eine Marke übrigens ein völlig normaler Effekt. Neben- oder Untermarken, die nahe am Hauptprodukt angesiedelt sind, leiden ebenfalls.

Christian Wulff hat sich also nicht nur selbst geschadet, er hat die Marke des Bundespräsidenten ebenfalls auf dem Gewissen, wenn ihm oder seinen neuen Beratern nicht sehr schnell eine neue Strategie einfällt. Darüber hinaus beschädigt er im Zweifel alle die, die mit ihm verbunden sind, sowohl privat, wie auch beruflich. Und je länger man nachdenkt, desto länger wird die Liste derer, die wenigstens einen enormen Imageschaden erleiden könnten.

Stellt man sich ein ganz normales Supermarktregal vor, war es vor einigen Wochen noch prall gefüllt. Das Premiumprodukt Bundespräsident war zwar nicht beliebt, aber es war ein Traditionsprodukt, stand für Qualität und Klasse. Alle Marken, die ebenfalls dort vertreten waren, solche wie die Bundeskanzlerin, die Unternehmer Geerkens und Carsten Maschmeyer, viele andere mehr, wurden ebenfalls konsumiert. Spätestens seit Donnerstag steht das Premiumprodukt Wulff jedoch alleine im Regal und entwickelt sich zu einem Ladenhüter. Die Marke Bundespräsident wird derzeit nicht mehr gekauft. Man kauft ihm nichts mehr ab.

Dies macht sich alleine dadurch bemerkbar, dass erste Stimmen laut werden, die die Frage stellen: braucht Deutschland überhaupt einen Bundespräsidenten? Und bei all den Fehlern, die Christian Wulff begangen hat; ein langsamer Markentod wie zum Beispiel geschehen bei der Automarke Saab, das ist ihm mit Verlaub nicht zu wünschen. Und erst recht kein Hohn und Spott, so wie es einmal mehr die Autovermietung Sixt praktiziert. Auf den Plakaten von Sixt ist Wulff zu sehen. Unter ihm die Werbebotschaft: “Spaß kann man auch ohne reiche Freunde haben - mit einem Mietwagen von Sixt - auch in Hannover”!

Mike Kleiß arbeitete bei RTL Radio und RPR1, SWR3 und war stellvertretender Programmchef bei den MDR-Radiosendern "Jump" und "Sputnik". Er ist als Dozent an Medienakademien tätig. Er gilt als Medien- und Markenexperte. Sein Hauptgeschäft ist die Kommunikationsagentur "Medienhafen Köln".

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