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Meinung: Angriff der Jungtürken

Von Susanne Güsten Mit zwei Dingen hatten die Türken in diesem Sommer auf keinen Fall gerechnet: Dass ihre Fußball-Mannschaft es bis ins Halbfinale der Weltmeisterschaft schaffen würde, und dass aus Ankara noch einmal eine gute Nachricht kommen könnte. Nach dem türkischen Fußball läuft nun plötzlich auch die Politik zu ungeahnter Form auf.

Von Susanne Güsten

Mit zwei Dingen hatten die Türken in diesem Sommer auf keinen Fall gerechnet: Dass ihre Fußball-Mannschaft es bis ins Halbfinale der Weltmeisterschaft schaffen würde, und dass aus Ankara noch einmal eine gute Nachricht kommen könnte. Nach dem türkischen Fußball läuft nun plötzlich auch die Politik zu ungeahnter Form auf.

Dass in Ankara wieder einmal eine marode Regierung gestürzt wird, das kann in der Türkei keinen Hund mehr hinter dem Ofen vorlocken. Aber dass zwei Politiker vom Format des bisherigen Außenministers Ismail Cem und des Wirtschaftsministers Kemal Dervis jetzt das Heft in die Hand nehmen, um die wirtschaftliche und demokratische Reform der Türkei voranzutreiben, das wird vielen resignierten Türken neue Hoffnung für ihr Land geben. Cem ist einer der entschiedensten Befürworter des türkischen EU-Beitritts in Ankara; als altgedienter Außenminister weiß er auch genau, was die Türkei dafür noch zu leisten hat. Der ehemalige Weltbank-Experte Dervis hat sich durch seine Sanierungsarbeiten an der krisengeschüttelten Wirtschaft breites Vertrauen erworben und genießt internationales Renommee.

Die bisherige Regierung unter Ministerpräsident Bülent Ecevit ist verbraucht. Obwohl der schwer kranke Ecevit dies nicht zur Kenntnis nehmen will, hat sich seine Koalition an den unüberbrückbaren Interessengegensätzen zwischen Nationalisten und EU-Anhängern aufgerieben.

Der 77-jährige Ecevit ist der letzte verbliebene Vertreter der alten Garde in Ankara, der nun auch bald abtreten muss. Der 62-jährige Cem und der 53-jährige Dervis stehen deshalb auch für einen Generationswechsel: Die Türkei ist ein ausgesprochen junges Land, in der die Hälfte der Menschen noch nicht einmal geboren war, als Ecevit seine politische Karriere begann.

Auch deshalb wartet die türkische Öffentlichkeit schon lange auf einen Neubeginn in ihrem Land. Zum ersten Mal bestehen nun aber zwei entscheidende Voraussetzungen dafür. Die Wirtschaftskrise hat bewirkt, dass Ankara – außer dem Staatsbankrott – keine andere Wahl bleibt, als die Reformen durchzuziehen; und bei allen Problemen ist die Türkei ihrem Traum einer Aufnahme in die EU so nah wie nie zuvor.

Das ist die Chance für Cem und Dervis. Wenn sie nun ihre neue Partei gründen, dann dürften bald noch mehr populäre Reformer dazustoßen, die in den letzten Jahren aus ihren Ämtern vergrault wurden. Dann gibt es neue Hoffnung für die Türkei – auch über den Fußball hinaus.

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