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Meinung: Angst vor der letzten Runde

Auch wenn Rot-Grün am Boden liegt: Noch ist die Wahl in NRW nicht entschieden

Von Robert Birnbaum

Wer wissen will, worum es bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen geht, der braucht nur Franz Müntefering zu lesen. Der SPD-Vorsitzende schreibt seit Wochen Brandbriefe in die eigene Partei hinein. Der Inhalt wechselt, der Tonfall nicht: Leute, sagt der Ton, es geht um alles. Ich weiß, sagt der Ton, wir lassen uns inzwischen bei jeder Landtagswahl einreden, dass sie ein Test sei und eine Vorentscheidung für uns oder die anderen. Aber diesmal, Leute, stimmt es wirklich!

Das sieht nicht nur der Westfale Müntefering so. Alle Parteien werden nach dem Wahlkampfauftakt an diesem Wochenende das Bundesland NRW so behandeln, als entscheide sich hier am 22. Mai das Schicksal der Republik. Womit sie durchaus richtig liegen. Wenn das vorletzte rot-grüne Bündnis fällt, wenn die SPD ihr Kern- und Stammland verliert, kann sie ab da nur noch auf Wunder hoffen. Gewinnt Rot-Grün, wäre das schon ein Wunder – mit verheerenden Folgen für Kampfmoral und Korpsgeist im Oppositionslager.

Man kann also schon verstehen, weshalb Müntefering so viel schreibt. Der SPD-Chef muss alles tun, um die eigenen Leute zu mobilisieren. Das ist, wie auch die jüngsten Umfragen wieder zeigen, nicht leicht. Die Hoffnung auf eine kleine Erfolgsserie hat sich mit dem Desaster von Heide Simonis zerschlagen. Die Hoffnung auf einen kleinen bundespolitischen Rot-Grün-Aufschwung ist wackelig. Symptomatisch die an Wunderglauben grenzenden Erwartungen, mit denen manche im Regierungslager dem Auftritt Joschka Fischers vor dem Visa-Ausschuss entgegensehen – als könne der Ober-Grüne das lästige Thema aus der Welt schaffen, das den Grünen wenig schadet, aber SPD-Wähler verunsichert.

Hinter solchen Erwartungen steckt aber die Ahnung, dass ohne Schub vom Bund die Wahl an Rhein und Ruhr nicht zu gewinnen ist. Es fehlt an brennenden lokalen Themen. Auch die Konkurrenz der Kandidaten Peer Steinbrück und Jürgen Rüttgers hat etwas von Schattenboxen. Die Großthemen der Republik dürften den Ausschlag geben. Da hat die Opposition leichtes Spiel. Von den über fünf Millionen Arbeitslosen sind – erstmals – über eine Million im größten Bundesland registriert. Bis zum Wahltag wird sich daran nichts ändern.

Wer wissen will, wie die SPD mit dieser relativ trostlosen Situation umgeht, muss wieder nur Müntefering lesen. Der SPD-Chef bläst Kulturkampftöne: Wir gegen die, die guten sozialen Demokraten gegen die bösen Merkelstoiberwesterwelle. Es ist der Aufruf zum letzten Gefecht in der vagen Hoffnung, dass der resignierte Kalle Normalgenosse aus Essen-Katernberg sich doch noch aufrafft.

Ist die Wahl also entschieden? Natürlich nicht. Man muss da nur an Schleswig-Holstein erinnern, das die SPD fest im Sack glaubte und am Ende schmählich verlor. In NRW bescheinigen die Umfragen der Opposition einen großen Vorsprung – 52 gegen 44 Prozent. Aber im Schatten stehen viele Unentschiedene. Und so gewaltig wie diese Differenz ist der Vorsprung an Vertrauen in ihre Kompetenz nicht, den CDU und FDP verbuchen. Wenn es in Düsseldorf zum Machtwechsel kommt, dann mehr aus Überdruss, und weil zu wenige an den Kulturkampf geglaubt haben. Für Rot-Grün in Berlin wäre das kein Trost. Sondern das Vorbild, das sie fürchten müssen.

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