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Pakistanische Demonstranten protestieren gegen das Mohammed-Video.

© AFP

Anti-amerikanische Unruhen: Obama hätte es nicht anders machen können

Obama steht für seine Nahost-Politik in der Kritik. Doch die fußt letztlich auf falschen Annahmen. Amerikas Einfluss in der Region wird überschätzt.

Ist Barack Obama ein Weichei oder ein Rambo? Die antiamerikanischen Ausschreitungen in der islamischen Welt haben erneut den Reflex aktiviert, die Frage zu stellen, was Amerika in der Region falsch gemacht hat. Die Antworten darauf sind uneinheitlich, ja widersprüchlich. Die einen werfen dem US-Präsidenten Schwäche und Appeasement vor, die anderen übertriebene Härte und Militarismus.

Obama habe mit seiner Rede in Kairo Illusionen genährt, monieren die Hardliner. Er habe mit Hosni Mubarak einen zentralen Stabilitätsfaktor in der arabischen Welt fallen gelassen. Er habe sich von Israel abgewandt und die Kraft des Islamismus in der Region unterschätzt. Aus der anderen Ecke wirft man ihm übertriebene Härte vor. Guantanamo wurde nicht geschlossen. Mit seinen Drohnenangriffen auf mutmaßliche Terroristen erzürnt er selbst moderate Muslime. In Afghanistan hat er die amerikanische Militärpräsenz sogar ausgebaut. Israel hätte er wegen der Palästinenser noch viel mehr unter Druck setzen müssen.

Wer gerecht urteilen will, muss Alternativen benennen. War Obamas Rede in Kairo falsch? War nicht bei seinem Amtsantritt das Ansehen Amerikas in der muslimischen Welt auf einem Tiefpunkt? Und von wegen Härte, Respekt und Abschreckung: Obamas Vorgänger, George W. Bush, sah tatenlos zu, als im Februar 2006 mehrere Dutzend Menschen bei Protesten gegen die Mohammed-Karikaturen getötet wurden. Wie es scheint, fühlen sich Muslime mal durch Schwäche, mal durch Härte provoziert. Man kann es ihnen nicht recht machen.

Bildergalerie: Islamische Welt in Aufruhr

Sicher, bei Obamas Reaktion auf den „arabischen Frühling“ passte zunächst nicht viel zusammen. Erst zögerte der Präsident, dann setzte er sich für die Demonstranten ein, die Intervention in Libyen steuerte er „von hinten“, das Massenmorden in Syrien nimmt er zähneknirschend hin. Doch was sonst? Hätten die USA an Muammar Gaddafi und Hosni Mubarak festhalten sollen? Und in Syrien intervenieren, ohne zu wissen, für wen?

Die bittere Wahrheit.

Die bittere Wahrheit ist, dass die Ereignisse im Nahen Osten eine starke Eigendynamik haben. Der Einfluss der USA wird überschätzt. Zur Wahrheit gehört ebenso, dass die Grundstimmung in der arabisch-muslimischen Welt stets islamistischer, antiamerikanischer und antiisraelischer war, als an die Öffentlichkeit drang. Eben diese Stimmung war jahrzehntelang von Despoten unterdrückt worden, deren Brutalitäten sich der Westen erkauft hatte. Jetzt bricht sich diese Stimmung ihre Bahn und mündet in Wahlerfolge islamistischer Parteien und in eine erneute Isolierung Israels in der Region. Beides liegt nicht im Interesse des Westens, aber eine Rückkehr zum Status quo ante wäre selbst als Wunsch frivol.

Bildergalerie: Islamische Welt in Aufruhr

Der „arabische Frühling“ gehört in die Kategorie jener Ereignisse, für die es keine fertigen Pläne gibt. In dieser Hinsicht ist er vergleichbar mit der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise und der europäischen Schuldenkrise. Auf Sicht zu fahren ist da allemal besser, als den großen Wurf zu wagen.

Das bekommt auch Obamas Herausforderer, Mitt Romney, zu spüren. In dreifacher Hinsicht gehört er zu den Verlierern der Entwicklung. Erstens scharen sich Amerikaner bei einer internationalen Krise traditionell um ihren Präsidenten. Zweitens lenkt der Aufruhr die Aufmerksamkeit von der Innenpolitik ab – jenem Feld also, auf dem Romney aufgrund der hohen Staatsverschuldung und Arbeitslosigkeit zu punkten hofft. Und drittens offenbart die Krise, dass dem Herausforderer ein klarer Gegenentwurf zur Politik des Amtsinhabers fehlt.

Ist Obama ein Weichei oder ein Rambo? Weder noch. Wer aktuell diese Frage stellt, glaubt immer noch zu stark an Amerikas Einflussmöglichkeiten im Nahen Osten.

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