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Sebastian Edathy, noch als Mandatsträger

© dpa

Anti-Edathy-Gesetz: Nachhilfe in Sachen Moral und Symbole braucht niemand

Die Bundesregierung will Nacktfilme von Kindern bei Strafe verbieten - ein hilfloses und überflüssiges Vorhaben. Die Politiker lassen ein Gesetz sprechen, weil ihnen die Worte fehlen

Die reine Lehre des Strafrechts geht so: Es ist das letzte Mittel, die ultima ratio des Staates, um Freiheit, Leben, Eigentum, Frieden, kurz alles zu schützen, was als „Rechtsgut“ gelten kann; also soll es sparsam eingesetzt, verhältnismäßig und so klar bestimmt sein, dass jeder sein Handeln danach ausrichten kann. Allein die Tat zählt, Moral nicht, Gesinnung nicht, Symbolik schon gar nicht. In diese Lehre soll der Bundestag nach dem Kabinettsbeschluss vergangene Woche ein neues Gesetz einfügen, das die unbefugte Aufnahme bloßstellender Bilder und Filme verbietet. Es ist das Anti-Edathy-Gesetz. Kinderpornografie soll strafbar sein, auch wenn es sich nicht um Pornografie, sondern nur um entblößte Kinder handelt.

Vertreter der reinen Lehre wie der Deutsche Anwalt-Verein oder solche, die sie fallweise in Anspruch nehmen wie die Opposition, sehen Veranstalter von Kindergeburtstagen in Bedrängnis. Was, wenn Planschbilder der unterm Rasensprenger spielenden Gastkinder auf digitalen Speichern landen? Und Eltern, die bekanntlich zu allem fähig sind, das mitkriegen und nach dem Staatsanwalt rufen?

Die reine Lehre ist nur ein Faktor unter vielen in der Rechtspolitik, zumal im Strafrecht. Andere sind etwa Moral und Symbolik. Nicht alles, was moralisch anstößig erscheint, ist zugleich strafbar. Aber alles Strafrecht hat moralische Gründe, sonst würde es nicht akzeptiert. Jeder Tatbestand ist ein Symbol, das einen Sinnzusammenhang schildert: Tu das nicht! Wir lehnen es ab!

Über solche, oft unausgesprochenen Gründe gelangte zum Beispiel das Verbot der Zwangsheirat ins Strafgesetzbuch, das überflüssig ist, weil Nötigung ohnehin bestraft werden muss. Vergleichbar symbolhaft sind die neuen Strafzumessungsgründe, die der Justizminister plant und die Verbrechen aus rassistischen Motiven stärker ahnden sollen – Rassismus wirkt ohnehin strafverschärfend, und so ist dieser Plan ein kleines Comeback der Gesinnungsschuld. Der Inzestparagraf besteht aus reiner Moral, ohne dass er ein Rechtsgut schützt, während die Ehre wiederum ein Rechtsgut ist, das in aufgeklärter Zeit keinen Schutz durch die strafbare Beleidigung nötig hätte. Strafrecht steckt voller Widersprüche. Es ist das pralle Leben, nicht die reine Lehre.

Womit der Kindergeburtstag wieder ins Spiel kommt. Die Justiz wird das Problem in den Griff bekommen, alltägliches (Familien-)Leben nicht zu kriminalisieren. Problematischer ist, was das Gesetz uns verbieten oder noch sagen soll. Der Bundesgerichtshof hat kürzlich erst entschieden, dass Kinderpornografie keine Pornografie sein muss; strafbar ist jeder Sexualbezug, das „Posing“ sowieso. Das Recht ist scharf, Nachhilfe in Sachen Moral und Symbole braucht hier niemand mehr. Die Politiker lassen ein Gesetz sprechen, weil ihnen die Worte fehlen.

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