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Die lange Linie der Geschichte: Wo man Amerika hasst, hasst man auch Juden.

© dpa

Antiamerikanismus und Antisemitismus: Über links, rechts, Klassen und Rassen hinweg

Hasste Hitler die angloamerikanische Kultur mehr als die Juden? Der Cambridge-Historiker Brendan Simms stellt eine brisante These auf: Hitlers Antisemitismus resultierte aus seinem Antikapitalismus und aus seiner Feindschaft gegen den Westen.

Hitler ist erforscht. Für die Herstellung des Papiers, das alle Studien und Biografien über ihn umfasst, müsste man ganz Deutschland roden. Und doch gibt es immer wieder unterschiedliche Autoren, die mit ihren Arbeiten den Blick auf diese Zeit und ihre Ideologien schärfen – von Joachim Fest bis Ernst Nolte, Daniel Jonah Goldhagen bis Götz Aly, Volker Ullrich bis Ian Kershaw. Manches löst Streit aus, manches Kopfschütteln. Aber kalt lässt es kaum jemanden. Denn noch immer gilt, obgleich meist implizit, die Hypothese: Wer Hitler erklärt, trägt zum Verständnis der Deutschen bei.

Einer davon könnte bald der irische Historiker Brendan Simms sein, der in Cambridge Internationale Beziehungen unterrichtet. In der Zeitschrift „International Affairs“ hat er vor wenigen Wochen erste Ergebnisse seiner geplanten Hitler-Biografie vorgestellt. Simms Interesse gilt vor allem der Frage, welche Wirkung der Erste Weltkrieg und der Friedensvertrag von Versailles auf Hitlers „Weltanschauung“ hatten. Seine These lautet: Hitlers Antisemitismus resultierte aus seinem Antikapitalismus, sein Antikapitalismus aus seinem Antiamerikanismus. Vorrangig waren der Hass auf die angloamerikanische Welt, der Neid auf die militärische Macht Großbritanniens und der USA, die Schmach über die als Kolonie-Status empfundene Degradierung Deutschlands durch Versailles.

„Hitler wurde ein Gegner der Briten und wohl auch ihrer amerikanischen Verwandten, bevor er ein Feind der Juden wurde“, schreibt Simms. „Und er wurde ein Gegner der Juden wegen seiner Feindschaft gegenüber den angelsächsischen kapitalistischen Mächten.“ Als Belege dafür dienen Quellen rund um das Jahr 1919. In dieser Lesart bedingen sich Hitlers Antisemitismus und sein Antikapitalismus: Die Juden müssten bekämpft werden, weil sie das internationale Kapital stützten, verkörpert durch die Vereinigten Staaten, und Deutschland intern schwächten. Der Antibolschewismus hätte demnach lediglich eine abgeleitete Funktion: Weil der Bolschewismus die Abwehrkräfte einer Gesellschaft erlahmen lasse, habe es der internationale Kapitalismus leicht, sich in diesen auszubreiten.

Simms historische Kausalitäten sind bestechend: Hitler hasste Amerika als herausragendes Symbol des internationalen Kapitalismus. Deshalb wetterte er gegen Deutsche, die über den großen Teich auswanderten. Daraus wiederum resultierte sein Lebensraum-Konzept. Die Ressentiments dieser Ideologie kreisen im Wesentlichen um die Chiffren „Amerika, Juden, Kapitalismus“. Von den Interaktionen dieses Konglomerats, glaubte Hitler, werde Deutschland im Kern bedroht.

Das liest sich so spannend wie aktuell. Man fühlt sich etwa an Max Horkheimers Beobachtungen aus dem Jahr 1967 erinnert, als er feststellte, „dass überall dort, wo der Antiamerikanismus sich findet, auch der Antisemitismus sich breitmacht“. Gefolgt von der Warnung: „Die Demagogen von rechts aber, bis zu einem gewissen Grad auch die von links, haben längst erkannt, dass sich hier ein fruchtbares Feld findet, und nützen die Lage in zunehmendem Maße aus.“

Bis heute? Plötzlich jedenfalls wird begreiflich, dass sich – etwa bezogen auf NSA, Drohnen, Finanzkrise – viele empörten Kommentare von Mitgliedern der „Alternative für Deutschland“ und der Linkspartei nicht voneinander unterscheiden. Beatrix von Storch und Sahra Wagenknecht, um nur zwei Beispiele zu nennen, senden zum transatlantischen Verhältnis auf derselben Frequenz.

Vor zehn Jahren schrieb der Soziologe Andrei S. Markovits das Buch „Amerika, dich hasst sich’s besser“, ein Klassiker der Antiamerikanismus-Lehre. Antiamerikanismus und Antisemitismus seien Zwillinge, heißt es darin, „Amerika und die Juden waren der europäischen Rechten und den Konservativen immer als Repräsentanten einer unaufhaltsamen Moderne suspekt und verhasst“. Ebenso gehe bei vielen Linken der „neue, auf Israelfeindschaft gründende Antisemitismus Hand in Hand mit ihrem Antiamerikanismus“.

Brendan Simms sucht auch in Äußerungen des populären französischen Komödianten Dieudonné M’bala M’bala, der Hamas, der Führung im Iran und von Ungarns neonazistischer Jobbik-Partei nach Analogien. Antisemitismus plus Antiamerikanismus plus Verachtung des kapitalistischen Westens – das verbinde sich zu einer „zunehmend kohärenten ideologischen Koalition über Klassen, Rassen und Kontinente hinweg“, folgert er. Mal sehen, was aus „Wehret den Anfängen!“ wird, wenn seine Hitler-Biografie erscheint.

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