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Es klingt aggressiv und ist auch so gemeint. Eine der am häufigsten skandierten und gesprühten Parolen lautet "Antifa heißt Angriff!"

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Antifa-Debatte: Abrüsten, um zu gewinnen

"Chaoten oder Heilsbringer? Danke, liebe Antifa!" - So war ein Beitrag im Tagesspiegel Ende Januar überschrieben. Seitdem tobt eine Debatte über Gewalt, Autonome und Antifaschismus. Unser Autor erklärt die Geschichte der Antifa - und was sie an sich ändern muss.

Von Frank Jansen

Der Hass entlarvt die Biedermänner als Extremisten. Auf ultrarechten Websites wird der Tagesspiegel-Kollege Sebastian Leber massiv, zum Teil auch obszön diffamiert, weil er sich positiv über die Antifa geäußert hat.

Mit dem "Shitstorm" demonstrieren die Kommentatoren, viele aus dem islamfeindlichen Spektrum, einen Hang zu verbaler Gewalt, der auch physische Handgreiflichkeiten befürchten lässt, sollte die Gelegenheit mal günstig sein. Das würde ein Thilo Sarrazin natürlich nie befürworten. Aber offenbar fühlt auch er sich von Lebers Text so stark provoziert, dass er die Frage aufwarf, ob die Redaktion des Tagesspiegels "von allen guten Geistern verlassen" sei. Ausgerechnet Sarrazin, der sich angesichts seiner kruden Thesen zu Migranten und Homosexuellen selbst einmal fragen sollte, wie viele gute Geister ihm noch geblieben sind.

Thilo Sarrazin
Thilo Sarrazin wundert sich über den Beitrag unseres Autors Sebastian Leber "Danke liebe Antifa" und meldet sich per Leserbrief zu Wort.

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Das Thema Antifa polarisiert. Eine differenzierte Betrachtung wird nur selten versucht. Das mag auch daran liegen, dass viele, die sich jetzt ereifern, die Antifa kaum oder gar nicht kennen. Der Horizont mancher Kritiker beschränkt sich auf Fernsehbilder von Krawallen linker Gegendemonstranten bei rechtsextremen Aufmärschen. Dann weiß man schon, was von der Antifa zu halten ist. Dass es sich um eine heterogene Bewegung handeln könnte, wird gar nicht erst erwogen.

Verdienste, Versagen und Verbrechen

Was genau ist denn überhaupt "Antifa"? Bei einem genaueren Blick sind Verdienste, Versagen und Verbrechen zu erkennen. Von Beginn an. Die heutige Antifa, vermutlich ein paar tausend meist junge Linke, mehr oder minder radikal, ist die Erbin des klassischen Antifaschismus der geballten Faust. Man könnte auch von einer Langzeitkampagne sprechen, über alle Umbrüche hinweg, offenbar mit Anspruch auf Ewigkeit. Initialzündung war in den 1920er Jahren die Reaktion auf das Erstarken rechtsextremistischer Parteien. Und das Spektrum war bunt. Als Antifaschisten begriffen sich Kommunisten, Anarchisten, Sozialisten, Sozialdemokraten und sonstige Linke, die sich dem Aufstieg der Faschisten in Italien und anderen Ländern sowie der Nazis in Deutschland und Österreich widersetzten - bis hin zum Kampf mit der Waffe. Und der war damals legitim.

Es waren Antifaschisten aus mehreren Ländern, die 1936 in Madrid den Vormarsch der Franco-Truppen stoppten. Die Einsätze der Internationalen Brigaden im spanischen Bürgerkrieg sind für viele Linke auch heute noch ein heroisches Kapitel des Antifaschismus. Wenngleich gerade hier seine Ambivalenz unübersehbar ist. Zahlreiche Kämpfer aus den Brigaden fielen internen Säuberungen zum Opfer. Der Terror stalinistischer Kommunisten traf auch Antifaschisten, die ihr Leben im Widerstand gegen den Faschismus riskiert hatten. Doch der blutige Sieg des sowjet-autoritären Antifaschismus über die linke Konkurrenz hatte einen hohen Preis - er beschleunigte den Untergang der spanischen Republik im Krieg gegen Franco und die von Hitler und Mussolini geschickten Hilfstruppen.

Auch die DDR schmückte sich mit dem Etikett "antifaschistisch"

Dass dann der Zweite Weltkrieg mit der ultimativen Niederlage fast aller faschistischen und faschistoiden Regime endete, nur die Diktaturen in Spanien und Portugal hatten überlebt, wurde von der Sowjetunion als Triumph des Antifaschismus gefeiert, "ihres" Antifaschismus. Der Begriff bekam endgültig eine linksautoritäre Prägung, die ihn in den westlichen Staaten, die auch gegen die Nazi-Barbarei gekämpft hatten, weitgehend diskreditierte. Im Ostblock und gerade auch in der DDR war der Antifaschismus eine Art Staatsreligion und propagandistische Waffe im Kalten Krieg. Das SED-Regime und seine westdeutschen Ableger blendeten weitgehend aus, dass der Widerstand gegen das NS-Regime keineswegs nur aus Kommunisten bestanden hatte. Auch eine Marlene Dietrich, ein Albert Einstein und ein Thomas Mann waren entschiedene Nazi-Gegner - aber keine linken, keine antikapitalistischen. Deshalb war für sie im elitären Antifaschismuskult der DDR kein Platz.

Es war Dietrich, Einstein und Mann wahrscheinlich egal. Fatal hingegen erwies sich gerade für Ostdeutschland, dass der staatlich verordnete und doktrinär verengte Antifaschismus zwangsläufig nur eingeschränkt glaubwürdig war. Teile der Bevölkerung lehnten ihn innerlich ab. Und in den letzten Jahren der DDR nahm in jugendlichen Milieus die Neigung zu, mit rechtsextremen Sprüchen die größtmögliche Provokation in einem Staat zu wagen, der sich mit dem Etikett "antifaschistisch" schmückte. Als dann das SED-Regime kollabierte, brach nur scheinbar überraschend bräunliche Jugendgewalt über das Land herein, befeuert vom Alltagsrassismus der älteren Generationen. Der Antifaschismus alter Prägung war endgültig gescheitert.

Mit Fäusten und Steinen gegen Rechtsextremisten und Polizisten

Das schwingt noch heute mit, wenn von Antifaschismus die Rede ist, obwohl die DDR nun schon mehr als 20 Jahre auf dem Friedhof der Geschichte ruht. Antifaschismus klingt altmodisch, vermufft kommunistisch. Dennoch bleibt ein Teil der Antifa-Szene dem Begriff treu. Vor allem die Old-School-Fraktion, von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes bis zur Autonomen Antifa, interpretiert den Rechtsextremismus als aggressive Variante des Kapitalismus. Da wird bürgerlicher Widerstand gegen Neonazis als halbherzig belächelt, weil er angeblich die Wurzel des Übels ignoriert. Die dogmatische Sichtweise gilt in Teilen der Antifa-Bewegung als ewige Wahrheit. Sympathisch ist das nicht. Und falsch ist es auch. Die Old-School-Leute sind Anhänger kommunistischer Ideen sowie eher anarchistisch orientierte Autonome. Diese Melange hat das Bild der Antifa-Bewegung geprägt, die in den 1980er Jahren in Westdeutschland als Reaktion auf die Umtriebe von Neonazis und rechtsextremistischen Skinheads entstand. Aus dem Begriff Antifaschismus wurde das griffig-kurze Schlagwort "Antifa" destilliert. Es klingt aggressiv und ist auch so gemeint. Eine der am häufigsten skandierten und gesprühten Parolen lautet "Antifa heißt Angriff!" Und so geht es mit Fäusten und Steinen gegen Rechtsextremisten und Polizisten, ab und an auch mit Brandflaschen gegen Fahrzeuge von Neonazis.

Nach der Wiedervereinigung sammelte sich die jüngere Hardcore-Antifa vor allem in der "Antifaschistischen Aktion/Bundesweite Organisation". Die AAB war der harte, linksextremistische Kern eines Spektrums mit vielen Kleingruppen. Durch die rassistischen Krawalle in Ostdeutschland und die Brandanschläge in Mölln und Solingen fühlte sich die Antifa-Szene bestätigt. Allerdings nicht nur im Kampf gegen Neonazis und andere Rassisten, sondern auch in der Ablehnung der politischen Grundordnung der Bundesrepublik. Die Demokratie galt als Fassade eines mörderischen Kapitalismus, der mit voller Absicht rechtsextreme Schlägerbanden wüten lässt. So denken viele Antifa-Leute aus dem autonomen Spektrum heute noch. Solche Gruppierungen stuft der Verfassungsschutz als gewaltbereite Linksextremisten ein und beschreibt sie in seinen Jahresberichten. Was der militanten Antifa als ein Beweis für die Komplizenschaft von Staat und Rechtsextremisten gilt, analog zum Langzeitmotto "Deutsche Polizisten schützen die Faschisten". So einfach kann ein Weltbild sein. Und eine Steilvorlage für Gegner vom Schlage eines Thilo Sarrazin, die Antifa pauschal als linke SA abzustempeln.

Ein Teil der Antifa reift

Simple Sicht verzerrt die Realität. Die Antifa ist keine homogene Haudrauf-Truppe, auch das Etikett "linksextrem" ist nicht durchgängig angebracht. Ein Teil der Bewegung reflektiert durchaus, wie der Widerstand gegen Rechtsextremismus und Rassismus zivil zu gestalten ist. Dass es in den fünf neuen Bundesländern und in Berlin schon lange Initiativen gibt, die sich intensiv um Opfer rechter Gewalt kümmern, ist nicht nur, aber in beträchtlichem Ausmaß engagierten "Antifas" zu verdanken. Sie suchen Menschen auf, die von Rechtsextremisten und anderen Rassisten attackiert wurden und für deren Verletzungen und Traumata sich sonst kaum jemand interessiert. Sie vermitteln Ärzte und Anwälte und sie gehen mit zu Prozessen, wenn das Opfer gegen den oder die Täter aussagen soll und große Ängste aussteht. Der eigentlich ungeliebte Staat unterstützt den couragierten Einsatz mit Fördermitteln, obwohl die Kommunikation mit den Geförderten nicht immer einfach ist.

Die Initiativen sind überzeugt, dass der Staat das Problem rechtsextremer Gewalt nicht in der vollen Dimension wahrnimmt. Zu Recht, wie die enormen Defizite in den offiziellen Statistiken zu Todesopfern rechter Gewalt belegen. Die Opferhilfevereine bekommen allerdings auch Schicksale von Personen mit, die sich gar nicht erst bei der Polizei melden. Junge Linke, Punks und Migranten ohne Aufenthaltsgenehmigung scheuen oft den Gang zur Behörde. Bei den Initiativen hingegen können solche Opfer rechter Gewalt auf Unterstützung hoffen. Und auf menschliche Wärme. Auch das ist ein Dienst an der Demokratie.
Ein Teil der Antifa reift. Mögen auch die alten, linksradikalen Utopien noch in den Köpfen rumoren, zeugt doch das öffentliche Engagement von einem beachtlichen Lernprozess. Das schließt Widersprüche nicht aus. Sichtbar werden sie vor allem, wenn es um die Aufklärung über rechtsextreme Aktivitäten, Personen und Strukturen geht. Meist junge Antifas beobachten intensiv Neonazis. Berichte über deren Umtriebe landen dann, mit Fotos und persönlichen Daten, im Internet und antifaschistischen Publikationen. So werden verborgene Netzwerke der rechten Szene ans Tageslicht gezerrt und Gefahren benannt, die sonst womöglich unterschätzt oder gar nicht wahrgenommen würden.

Die rechtsextreme Szene fühlt sich bestätigt

Das "Outing" rechter Strukturen kann allerdings auch problematische Folgen haben. Manchmal sind Rechtsextremisten, die an den Pranger gestellt werden, gezielten Angriffen militanter Antifas ausgesetzt. Da fliegen Farbbeutel gegen Häuser, es werden Briefkästen aufgebrochen, ein Privat-Pkw geht in Flammen auf oder ein vermummter Trupp kommt vorbei und schlägt zu. Die rechtsextreme Szene fühlt sich dann erst recht in ihrer Neigung zu Gewalt bestätigt. Und man hat rasch vom Gegner gelernt und wendet ähnliche Methoden an, unter dem Motto "Anti-Antifa".

Die braune Kampagne ist potenziell noch gefährlicher als das linke Pendant. In welchem Maße rechtsextremer Hass eskalieren kann, zeigt schon der Fall NSU. Und auch da gibt es einen "Anti-Antifa"-Vorlauf. An Treffen einer Gruppierung namens "Anti-Antifa-Ostthüringen" hätten Mitte der 1990er Jahre auch die späteren Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt sowie die im Münchener NSU-Prozess angeklagte Beate Zschäpe teilgenommen, sagt die Bundesanwaltschaft. 1998 gingen die drei in den Untergrund, zwei Jahre später verübten Mundlos und Böhnhardt den ersten Mord. Dass die Terroristen keine Antifa-Leute umbrachten, sondern Migranten und Polizisten attackierten, ist keineswegs ein Beleg für mangelnden Hass auf Linke.

Die Antifa schockt sich selbst

Das Stichwort NSU steht allerdings nicht nur für eine unfassbare Serie rechtsextremer Verbrechen. Der mörderische Terror war auch möglich, weil Staat und Gesellschaft zu wenig wachsam waren. Und dieser Vorhalt trifft auch die Antifa. Die für sich in Anspruch nimmt, den Rechtsextremismus so akribisch und hartnäckig zu durchleuchten wie niemand sonst. Doch als Mundlos und Böhnhardt von 2000 bis 2006 neun Migranten türkischer und griechischer Herkunft erschossen, immer mit derselben Waffe, witterte auch die Antifa keinen rassistischen Angriff. Die schärfsten Kritiker des Staates ließen sich, wie die bürgerlichen Medien, mit dem Geraune der Sicherheitsbehörden abspeisen, die "Döner-Morde" seien der organisierten Kriminalität zuzurechnen. Den Opfern unterstellte die Polizei, sie seien offenbar selbst in Drogengeschäfte oder andere dunkle Machenschaften verstrickt gewesen.

Auch die Antifa fragte nicht nach. Sie akzeptierte still die zumindest unterschwellig rassistische Theorie, bei schwer aufzuklärenden Verbrechen gegen Türken sei eher Drogenhandel eine plausible Erklärung als der Hass von Deutschen auf Migranten. Obwohl die Familien der Opfer sich vehement gegen den Verdacht wehrten, die getöteten Väter, Söhne, Brüder seien kriminell gewesen.

Feierabend-Gestapo "Anti-Antifa"

Als dann im November 2011 bekannt wurde, dass Neonazis gemordet hatten, war auch die Antifa geschockt. Und beschämt. Das "Antifaschistische Infoblatt", eine Art Zentralorgan der Szene, hat Versäumnisse benannt. "Antifa-Aktivist_innen" aus Dortmund hätten einst weder den Mord an Mehmet Kubasik noch den Schweigemarsch überhaupt zur Kenntnis genommen, stand im Frühjahr 2012 im Infoblatt. Mundlos und Böhnhardt hatten Kubasik im April 2006 in seinem Kiosk in Dortmund erschossen. Im Juni des Jahres veranstalteten türkische Vereine in Dortmund einen Schweigemarsch, an dem auch Angehörige des ermordeten Deutschtürken teilnahmen. Sechs Jahre später zeigten sich Dortmunder Antifas laut Infoblatt "geschockt von der sozialen und politischen Diskrepanz", die sich darin ausdrücke, damals den Fall Kubasik nicht wahrgenommen zu haben.

Die Antifa ist ein ambivalentes Phänomen. Es gibt Gründe, sie zu loben, mag die Eloge von Sebastian Leber im Tagesspiegel auch in einigen Punkten allzu freundlich erscheinen. Doch ohne die Antifa wäre es wohl beispielsweise nicht gelungen, die jährlichen, großen Aufmärsche der rechten Szene im Februar in Dresden mit Blockaden abzuwürgen, an denen sich auch viele bürgerliche Demokraten beteiligten. Aber auch da sind kritische Einwände nötig - eine Blockade, so friedlich sie auch sei (was in Dresden nicht durchgängig der Fall war), ist ein Eingriff in das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit. Es gilt für alle, auch für Neonazis. Genauso wie das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Anders als einst im spanischen Bürgerkrieg haben Antifaschisten heute keineswegs einen legitimen Anspruch auf Gewalt gegen Rechts.
Und so ließe sich die "Ja, aber"-Argumentation in Sachen Antifa fortsetzen. Immerhin gibt es Denk- und Reifungsprozesse innerhalb der Bewegung. Das ist auf der anderen Seite, bei den Rechtsextremen und ihrer Feierabend-Gestapo "Anti-Antifa", nicht zu erwarten. Dennoch ist eine Option auf militanten Antifaschismus, vulgo Selbstjustiz, nicht zu rechtfertigen. Zumal mit linker Gewalt kein Neonazi belehrt und bekehrt wird, eher verstärkt sich noch sein Hass. Die Antifa kann nur gewinnen, wenn sie abrüstet.

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