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Arabellion und Moral: Harsche Kritik an nackter Studentin

In Ägypten und anderen Ländern des Arabischen Frühlings droht ein politischer Roll-Back. Die kulturell-moralische Anschauung hat sich dort kaum gewandelt. Das zeigt die Reaktion auf die Studentin Alia Magda al Mahdi.

Revolution ist wie Sex. So steht es in unseren Geschichtsbüchern, und die Älteren kennen es noch aus eigener Erinnerung. Die gesellschaftliche Umwälzung der Sechziger ging einher mit sexueller Befreiung. Love and Peace oder „keine Revolution ohne allgemeine Kopulation“, wie es der Dramatiker Peter Weiss damals postulierte – heute lächelt man darüber. Die Generation der 68er geht in Rente, ihre Enkel haben andere Sorgen als freie Liebe.

Wie hat der Westen, der immerzu frische Idole braucht, mit der Arabellion gefiebert! Aber nicht nur in Kairo droht ein politischer Roll-back. Wie wenig, wenn überhaupt, sich die kulturell-moralischen Anschauungen dort gewandelt haben, wie weit der Weg der Freiheit noch ist, zeigt der Fall der 20-jährigen Alia Magda al Mahdi. Die Kunststudentin hat sich mit einem Aktfoto ins Netz gestellt. Sie versteht ihre Aktion als Forderung nach freiem persönlichen Ausdruck und Gleichberechtigung. Die junge Frau hat eine schöne, intelligente Ausstrahlung, ihre Haltung ist natürlich, nichts von einer lasziven, gar pornografischen Pose – in unseren Augen. In einem islamisch geprägten Land wie Ägypten muss man das anders sehen. Eine größere Provokation ist dort kaum denkbar. Zumal sich die unverheiratete Bloggerin als Atheistin bezeichnet und einen Freund hat.

Dass sie wilde Schmähungen über sich ergehen lassen muss und wegen Missachtung der Religion angezeigt wurde, überrascht nicht. Auch nicht, dass fanatische Moralwächter die Studentin der American University als prowestlich, verdorben und gesellschaftsschädlich beschimpfen. Etwas anderes stimmt nachdenklich. Es sind junge Absolventen der Rechtswissenschaft, also künftige Richter und Staatsanwälte, die Alia Magda al Mahdi vor Gericht zerren wollen. Das verheißt für die Zukunft des Landes nichts Gutes. Und schlimmer noch: Sogenannte Liberale, die auf dem Tahrir-Platz gegen Präsident Mubarak und das Regime gekämpft haben, distanzieren sich jetzt von der mutigen Frau. Die Aktivisten wollen mit so einer nichts zu tun haben, weil sie um ihre Chancen fürchten, weil die Aktion ihnen zu weit geht. In Ägypten wird dieser Tage eine neues Parlament gewählt. Das Land ist in Aufruhr. Bei Zusammenstößen mit Militär, Polizei und Schlägertrupps sterben wieder Demonstranten.

Was zählt da der Auftritt einer entblößten Bloggerin? Es ist ein Akt der Verzweiflung, ein Lehrstück. Befreiung durch Sex, das bleibt eine explosive Idee, und das Beiseiteschaffen eines altersschwachen Despoten wie Mubarak sollte nicht mit Revolution verwechselt werden, wenn das System unangetastet bleibt. Die Arabellion stärkt momentan jene sinistren Kräfte, die von den Mubaraks, Saddams, Ben Alis gewaltsam unterdrückt wurden. Bitter zu erleben, wie die Kairoer Studentin und ihr Freund unter Beschuss geraten. Wegen Kritik an Mubarak und Beleidigung des Islam hat der junge Mann vier Jahre im Gefängnis gesessen.

Mubarak, das Militär, der islamische Moralkodex, der Prophet – so viele Autoritäten, so viel erdrückende Tradition. Unter den Kaftanen der Muff von tausend Jahren. Der Körper und die Sexualität sind das bevorzugte Ziel von Religion wie Revolution. Ein Zeichen der Solidarität mit Alia Magda al Mahdi kommt aus dem so weit entfernten Nachbarland Israel. Dort haben sich vierzig Frauen vor einem Transparent nackt fotografieren lassen: „Liebe ohne Grenzen.“ Dort darf man das, ohne sich Todesdrohungen einzuhandeln. Das Private ist politisch. Arabiens Frühling muss noch erwachen.

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