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Israel und die radikalislamische Hamas haben nach israelischen Angaben einen Waffenstillstand ab Freitag vereinbart. Hier im Bild: israelische Soldaten.

© AFP

Arabische Welt und der Gazakrieg: Gefangen im eigenen Streit

Die arabischen Länder rühren zum großen Sterben in Gaza keinen Finger. Denn die einen zerfallen und die anderen kämpfen gegen ihre eigene islamistische Opposition.

Verkehrte Welt – so scheint es dieser Tage. Die größte Demonstration gegen den Gazakrieg fand in London statt, nicht in Kairo, Damaskus oder Bagdad. Selbst das Aufbegehren einiger hundert Linksaktivisten in Tel Aviv gegen das apokalyptische Bombardement ihrer Armee auf die ramponierte Küsten-Enklave war hörbarer als sämtliche Proteste in der Golfregion. Praktisch in der kompletten arabischen Welt herrscht dröhnendes Schweigen, bei den Politikern ebenso wie bei ihren Untertanen, bei den Islamgelehrten ebenso wie den christlichen Oberhirten.

Die drei Jahre nach dem Arabischen Frühling haben – so scheint es – das gesamte innerarabische Gefüge so durcheinandergewirbelt, dass selbst die jahrzehntelang gewohnte Nahost-Konstante von Empörung über Israels Gewalt gegen die palästinensische Bevölkerung plötzlich wie verdampft scheint.

Das von Kairo recycelte Waffenstillstandspakt stieß auf brüske Ablehnung

Die Ursachen für diesen Wandel liegen auf der Hand. Die Region polarisiert sich immer mehr in hyperautoritäre Polizeistaaten auf der einen und zerfallende Staaten auf der anderen Seite. Staaten, deren Territorien von Bürgerkrieg, chronischen Unruhen, Übergriffen gegen Minderheiten und Extremisten-Enklaven zerfressen werden. Die zerfallenden Staaten wie Syrien, Irak, Libanon und Libyen sind absorbiert von ihrem eigenen Untergang und völlig mit sich selbst beschäftigt. Die autoritären Staaten wie Ägypten, Saudi-Arabien, Kuwait und die Emirate lassen praktisch überhaupt keinen inneren Dissens mehr zu. Jeder der zum Demonstrieren auf die Straße geht, der laut eine andere als die vorgegebene Meinung äußert, riskiert Jahre im Gefängnis. Zugleich tun ihre Herrscher alles, was islamistischen Bewegungen schadet, die sie als Kernursache des regionalen Niedergangs identifiziert haben und die sie als Hauptgefahr für ihre eigenen Machtaussichten ansehen.

Und so rühren sie zum großen Sterben in Gaza keinen Finger, zumal die palästinensischen Islamisten politisch fast sämtlichen Rückhalt eingebüßt haben. Syriens Baschar al Assad hat sich als Massenmörder desavouiert. Der Iran hält sich seit der Wahl des moderaten Präsidenten Hassan Ruhani auf Distanz. Türkei und Qatar sind in der nahöstlichen Welt isoliert wie nie zuvor. Und in Ägypten nebenan herrscht nach dem Sturz von Mohammed Mursi eine Führung, die alle Islamisten als Terroristen behandelt – in dieser Sicht mit Milliardensummen unterstützt von der Mehrzahl der superreichen Golfaristokratien. Dieses regionale Machtkartell wünscht eine Niederlage der Hamas, selbst wenn diese durch Israels Raketen erfolgt. Und so ist auch Ägypten in diesem Krieg Partei, obwohl es nach wie vor im Gewand eines neutralen Vermittlers herumläuft.

Rauch steigt nach einem israelischem Luftangriff über dem Gazastreifen auf.
Rauch steigt nach einem israelischem Luftangriff über dem Gazastreifen auf.

© AFP

Unprofessionelles Vorgehen der ägyptischen Diplomaten

Kein Wunder, dass der von Kairo recycelte Waffenstillstandspakt vom November 2012 bei der Hamas auf brüske Ablehnung stieß. Denn die Geschäftsgrundlage von damals existiert nicht mehr. Das Geflecht der 1800 Schmuggeltunnel, welches selbst Hosni Mubarak wegen der Versorgung der Gaza-Bevölkerung nie angerührt hat, wurde seit Mitte 2013 unter dem neuen Militärmachthaber Abdel Fattah al Sisi komplett zerstört. Der Grenzübergang Rafah, der unter dem abgesetzten Mursi erstmals seit Jahren wieder normal funktionierte, war in den vergangenen sechs Monaten nur noch an 17 Tagen für Gazas Bewohner geöffnet. Das Übrige tat das unprofessionelle Vorgehen von Kairos Diplomaten, die vor einer Woche zwar mit Israels Spitze in Tel Aviv konferierten, nicht aber mit der Islamistenführung in Gaza-Stadt.

Letztlich ausschlaggebend aber dürfte sein, dass die ägyptische Gaza-Initiative untrennbar verknüpft ist mit Sisis totalem Feldzug gegen die Muslimbruderschaft am Nil. Jede Konzession an deren Hamas-Filiale nebenan käme aus Sicht des Kairoer Ex-Marschalls einer Teilrevision seiner propagierten Heimatfront gegen den Terror und einer Schwächung seiner Legitimität als oberster Feldherr gegen den Islamismus gleich. So zieht die ideologische Selbstblockade Ägyptens dieser Tage neue, weitere Kreise. Und die geschlagenen und gequälten Menschen in Gaza sind in der arabischen Welt isolierter als je zuvor.

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