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Junge Männer versammeln sich in der Nacht zu Samstag und stürmen das Quartier einer militanten Miliz in Benghasi, Libyen.

© AFP

Arabischer Frühling: Aufstand gegen die Hetzer

Es war eine Woche der Tragödien in der arabischen Welt: Wie ein Lauffeuer fraß sich die Gewalt durch Länder wie Libyen oder Pakistan. Eine zweite Gewaltwelle war befürchtet worden, doch sie blieb aus. Und deshalb kann auch diese schreckliche Woche gut für den Arabischen Frühling sein.

Vielleicht war es doch eine gute Woche für den Arabischen Frühling. Auch wenn es nach der Tragödie von Bengasi, den Mobangriffen auf westliche Botschaften zunächst so aussah, als wenn die Muslime der Region nun zum Kampf der Kulturen blasen. Die zweite befürchtete Gewaltwelle blieb jedoch aus.

Stattdessen machten in Libyen, Tunesien und Ägypten Politiker, Zivilgesellschaften und Klerus mobil, weil sie keine Lust mehr haben, sich weiterhin von Knüppel oder Kalaschnikow schwingenden Salafisten auf der Nase herumtanzen zu lassen. In Libyen brachte die dreiste Gegendemonstration der radikalen Ansar-al-Sharia-Milizen gegen den friedlichen Protestzug der Initiative „Rettet Bengasi“ das Fass zum Überlaufen.

Mit Rückendeckung der neuen Regierung machten in der Nacht junge Bürger zusammen mit der Polizei dem Spuk der selbst ernannten Gotteskrieger in ihrer Stadt ein vorläufiges Ende. In Tunesien brachte die dubiose Flucht des Ansar-al-Sharia-Chefhetzers durch einen dichten Polizeikordon die Bürger auf die Barrikaden. Monatelang hatten die regierenden Ennahda-Muslimbrüder dem Kulturkampftreiben der Salafisten tatenlos zugesehen. Jetzt endlich platzte Ennahda-Chef Rached Ghannouchi der Kragen und er versprach, hart durchzugreifen gegen alle, die auf der Freiheit anderer herumtrampeln.

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Und in Ägypten machten der islamistische Präsident und sein Premierminister gleichermaßen klar, dass sich ihre Regierung verantwortlich fühlt für die öffentliche Ordnung, das Leben ausländischer Gesandter und die Integrität ihrer Botschaften. Gleichzeitig ging Ägyptens Obermufti Ali Gomaa mit den Zuständen in den eigenen Reihen so deutlich ins Gericht wie noch nie zuvor eine hohe sunnitische Autorität am Nil.

Ignoranz, Bildungsmangel und fehlende religiöse Kenntnisse bilden in der sunnitisch-muslimischen Welt ein immer leichter entzündliches Gebräu. Jeder Straßeneckenprediger fühlt sich autorisiert, seine irgendwo zusammengeklaubten Ansichten als authentische Lehre des Islams auszugeben. Und jeder fromme Amateur kann sich heutzutage als Imam aufspielen und aufwiegelnde Brandreden halten.

Und so waren der spektakulären Gewalt der Salafisten gegen westliche Botschaften bereits monatelange Übergriffe gegen moderate Mitmuslime und das säkulare Kulturleben vorausgegangen. Die gleichen Bärtigen, die lautstark Respekt für ihren Propheten einfordern, rückten in ganz Nordafrika Sufi-Heiligtümern mit Presslufthämmern zu Leibe, schändeten Gräber und verprügelten anders praktizierende Muslime.

Doch wie sich herausstellt, können die Gesellschaften des Arabischen Frühlings lernen, und sie lernen - auch wenn der Weg sehr lang sein wird. Alle Nationen in Europa wissen, humaner und gesellschaftlicher Fortschritt hat seinen Preis, verläuft dialektisch – und wird oft ausgelöst durch Katastrophen, Missstände oder Tragödien.

Die UN-Erklärung der Menschenrechte 1948 wäre ohne den Zweiten Weltkrieg nicht denkbar gewesen. Erst die NSU-Mordserie hat in Deutschland überfällige Reformen des Verfassungsschutzes ausgelöst. Und in den arabischen Nationen hat der tragische Tod des US-Botschafters die Entschlossenheit gestählt, den Brandstiftern im Namen Allahs entschiedener als bisher entgegenzutreten.

Insofern eine gute Woche für den Arabischen Frühling.

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