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Meinung: Arbeit geht vor

Frankreich braucht Reformen – doch der Präsident will niemanden brüskieren.

Als Maurice Taylor, der Chef des amerikanischen Reifenherstellers Titan, kürzlich in einem Brief an die Regierung in Paris französische Arbeiter bezichtigte, sie würden bloß drei Stunden am Tag arbeiten, war das Land außer sich. Sogar Unternehmer reagierten schockiert. Aus dem Ausland dagegen erhielt Taylor Beifall: Endlich mal einer, der (wenn auch mit etwas Übertreibung) den Franzosen sage, dass es so nicht weitergehe.

Hintergrund der Provokation war die 2012 gescheiterte Teilübernahme eines französischen Goodyear-Werks durch Titan. Funktionäre der Gewerkschaft CGT hatten sie vereitelt. Sie wollten sich wohl nicht noch einmal verschaukeln lassen – wie drei Jahre zuvor vom französischen Ableger des Continental-Konzerns. Als Gegenleistung für einen Lohnverzicht hatten sie damals eine Arbeitsplatzgarantie erreicht, die wenige Monate später gebrochen wurde. Aufgebrachte Gewerkschafter demolierten daraufhin die Büros der Continental-Zentrale bei Paris, wofür sie später verurteilt wurden. Die sozialistische Regierung plant für diese Taten inzwischen eine Amnestie. Ungeachtet dieser turbulenten Vorgeschichte hatte Industrieminister Montebourg gehofft, Titan doch noch als Retter für das Werk gewinnen zu können, sich aber nur die Verhöhnung durch den Konzernchef eingehandelt.

Um eine solche handelt es sich nämlich. Denn ungeachtet der in der in der Praxis oft ausgehebelten 35-Stunden-Woche liegt zumindest die durchschnittliche Wochenarbeitszeit in der Industrie mit 38 Stunden leicht über jener in den USA. Dennoch belegt der Vorfall, dass Frankreichs Image bei ausländischen Investoren gelitten hat. Nach einer Umfrage der amerikanischen Handelskammer Paris ist das Land nur noch für 22 Prozent der US-Unternehmen ein attraktiver Standort.

Hauptgrund ist die gesunkene Wettbewerbsfähigkeit. Zu dieser Entwicklung haben die rigiden Regeln des Arbeitsmarkts, die hohen Steuern und Sozialabgaben und unzureichende soziale Reformen beigetragen. Hinzu kommt die Zersplitterung der Gewerkschaften in rivalisierende Organisationen, die sich mit radikalen Forderungen zu überbieten scheinen. Eine zum Konsens bereite Sozialpartnerschaft gibt es nicht. Außerdem hat der Politik bisher der Mut gefehlt. Vor der Präsidentschaftswahl 2012 war es unter Rechten wie Linken verpönt, von „Austerität“ zu sprechen, der Notwendigkeit, den Gürtel enger zu schnallen, um den Staat zu sanieren.

Präsident François Hollande geht die fälligen Reformen jetzt allenfalls in homöopathische Dosen an. Er forderte Arbeitgeber und Gewerkschaften zwar auf, gemeinsam Vorschläge vorzulegen. Das Programm für eine Flexibilisierung des Arbeitsmarkts, das seit Januar existiert, geht aber längst nicht so weit wie die Hartz-Reformen in Deutschland. Die Arbeitgeber stimmten uneingeschränkt zu; zwei der drei großen Gewerkschaften, CGT und FO, lehnten es ab. Wirkung wird diese Reform ohnehin nur mittelfristig zeigen. Für die nächsten zwei Jahren wird ein Anstieg der Arbeitslosigkeit von zurzeit 10,1 Prozent auf bis zu 11 Prozent prognostiziert.

Das alles zeigt: Hollande will die Franzosen zwar für Reformen gewinnen – aber er traut sich nicht, anders als Nicolas Sarkozy, sie zu diesem Zweck zu brüskieren.

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