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Meinung: Arbeit muss wachsen

Im nächsten Jahr soll der Aufschwung kommen – wann kommen die Jobs?

Die Konjunkturexperten haben das Jahr abgehakt. Dabei dauert es noch fünf quälend lange Monate, in denen sich immer wieder die Frage stellt: Kommt er nun, der Aufschwung? Und auch: Kommt die Wende am Arbeitsmarkt?

Die Gutachter haben den Patienten Deutschland fürs erste aufgegeben – mit Wachstum, da sind sie sich einig, wird das nichts. Und 2004? Keine Zweifel. Im nächsten Jahr geht es aufwärts – bescheiden zumindest und vielleicht. Und nur unter bestimmten Bedingungen und wenn nichts dazwischenkommt. Und wenn wir alle daran glauben, möchte man hinzufügen.

Wirtschaftsminister Wolfgang Clement glaubt ganz fest daran. Er sieht die Wirtschaft selbst in diesem Jahr wachsen. Es stimmen so viele Vorzeichen optimistisch. Die Börse strebt mit aller Kraft nach oben, Umfragen in der Wirtschaft und jetzt sogar unter den sonst so skeptischen Verbrauchern signalisieren Zuversicht. Dass die US-Konsumenten weniger Vertrauen an den Tag legen, scheint in der allgemeinen Umbruchstimmung eher ein kleiner Betriebsunfall zu sein, ohne nachhaltige Wirkung.

Doch ausgerechnet Florian Gerster, Chef der Bundesanstalt für Arbeit, gießt Öl in das Feuer: Fünf Millionen Arbeitslose in diesem Winter sind für den Arbeitsamts-Reformer vorstellbar. Mitten im konjunkturellen Aufbruch müssen wir also mit der Katastrophe am Arbeitsmarkt rechnen. Das nährt den Verdacht, dass die Rechnung „Mehr Wachstum gleich mehr Jobs“ nicht aufgeht.

Wirtschaftsminister Clement hat den Glauben nicht verloren. Eisern hält er an „drei Viertel Prozentpunkten Plus“ in diesem Jahr fest. Aber was bedeuten schon Zahlen hinter dem Komma? Nichts, außer dass die Wirtschaft gerade eben noch gewachsen und nicht geschrumpft ist. Politisch ist das bedeutsam, für den Arbeitsmarkt spielt es keine Rolle.

Selbst wenn das Sozialprodukt künftig um ein bis zwei Prozent pro Jahr stiege, wird es kaum neue Jobs geben. Denn schon die permanente Rationalisierung in den Betrieben zehrt die positiven Effekte von zwei Prozentpunkten mühelos auf. Erst Zuwachsraten oberhalb dieser Marke entlasten spürbar den Arbeitsmarkt. Die bittere Wahrheit ist aber: In den nächsten Jahren erwartet keiner der Konjunkturauguren Wachstumsraten deutlich und dauerhaft über zwei Prozent. Begründet wird das mit dem hohen Niveau, auf dem sich die deutsche Volkswirtschaft inzwischen befinde. Und natürlich mit dem Überfluss an Produkten und Dienstleistungen, die in Wahrheit niemand mehr brauche. Das vergangene Jahrzehnt scheint die Thesen zu belegen. Trotz Vereinigungsbooms wuchs die Volkswirtschaft im Schnitt nur um 1,4 Prozent jährlich.

Daraus aber, frustriert, den Schluss zu ziehen, in Zukunft werde sich der Arbeitsmarkt eben von der wirtschaftlichen Entwicklung abkoppeln, wäre verfrüht. Es geht auch anders: Die USA haben im gleichen Zeitraum Raten von 3,2 Prozent hingelegt. Und von dieser Volkswirtschaft wird wohl keiner behaupten, sie sei ausgehungert.

In einem Punkt sind uns die Amerikaner weit voraus. Angebot und Nachfrage nach Arbeit sind äußerst flexibel, der Jobmarkt atmet. Er kann sich dem konjunkturellen Auf und Ab besser anpassen. Mit allen sozialen Nachteilen, die das System „hire and fire“ mit sich bringt. Das sei nicht verschwiegen.

In Deutschland ist es genau umgekehrt weil starre Tarifregeln, Kündigungsschutz, hohe Einstiegslöhne und überflüssige Vorschriften verhindern, dass die Beschäftigung in den Betrieben der Auftragslage schnell angepasst werden kann. Noch lange wird deshalb der Konjunktureinbruch auf dem Arbeitsmarkt nachwirken, obwohl der Umschwung längst eingesetzt hat. Die Entlastung auf dem Arbeitsmarkt kommt erst mit großer Verspätung. Das könnte anders sein. Wenn es gelingt, den deutschen Korporatismus mit seinen Gewerkschaften, Wirtschaftsverbänden und Kammern zu durchbrechen, wird auch die Beschäftigungsschwelle von zwei Prozent Wirtschaftswachstum kein Dogma mehr sein. Dann wären selbst Zahlen hinter der Kommastelle Indizien für neue Jobs.

Dieter Fockenbrock

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