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Meinung: Auch die Schule muss lernen

„Der Schulmärchenreport“ vom 18. August Wird ein individualisiertes Lernen von den Schulinspektoren nicht festgestellt, heißt das bei weitem nicht, dass hier „schlechter Unterricht“ stattfand.

„Der Schulmärchenreport“ vom 18. August

Wird ein individualisiertes Lernen von den Schulinspektoren nicht festgestellt, heißt das bei weitem nicht, dass hier „schlechter Unterricht“ stattfand. Das Messverfahren ist kritisch zu hinterfragen! Beim Lied „Alle Vögel sind schon da“ macht es Sinn, frontal zu üben, eigene Lösungswege auszuschließen und den Vorgaben des Lehrers zu folgen. Frontalunterricht kann für Kinder so wunderbar effizient, zielführend und nachhaltig sein. Nur misst das eben das Raster des Inspektors nicht in den 20 Minuten, in denen er gerade dieser Musikstunde beiwohnte.

Kein guter Unterricht kommt ohne Instruktionsphasen aus. Diese frontal zu gestalten ist effizient und entspricht didaktischen Grundsätzen guten Unterrichts. „Schlechte“ Ergebnisse sind bisweilen Ausdruck schlechter Evaluationsverfahren oder falscher Vorgaben.

Christoph Schubert, Berlin-Spandau

... und wer evaluiert die Evaluation?

Der Artikel von Armin Lehmann weist zu Recht auf die zahlreichen Missstände in Berliner Schulen hin. Leider verpasst er die Chance, nach den Gründen für die teilweise verwirrenden und widersprüchlichen Ergebnisse der Schulinspektionen zu fragen.

Wer einseitig den Frontalunterricht verteufelt und als unvereinbar mit dem Ziel individualisierten Lernens ansieht, verkennt die Situation insbesondere in denjenigen Schulen, die sich die Förderung einer sehr heterogenen Schülerschaft zur Aufgabe machen. Methodenvielfalt kann allen Beteiligten Freude und Lernerfolge bringen. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass zuvor unverzichtbare gemeinsame Grundlagen im Zusammenleben, der Lernhaltung und eben auch im Wissen erarbeitet wurden.

Wenn ein Inspektionsbericht die Unterrichtsqualität hauptsächlich an den eingesetzten Methoden misst und dabei die Voraussetzungen der Lernenden übersieht, macht er sich die Einseitigkeit zu eigen, die er vielen Lehrkräften zu Unrecht unterstellt. Zeit für eine Evaluation der Evaluation!

Dr. Dorothee Serries, Lehrerin an einer Berliner Integrierten Sekundarschule,

Hennigsdorf

Eine tolle Recherche, vielen Dank dafür.

Wer an einer Berliner Schule lehrt, kann nur den Kopf schütteln über so viel Missmanagement. Während der Föderalismus seine extrem kostenintensiven Blüten treibt und Frau Schavan parallel ein voll klimatisiertes neues Verwaltungsgebäude in Mitte aus dem Boden stampfen lässt, darben Schüler und Lehrer in den Unterrichtsräumen bei Dauerheizung und/oder defekten Fenstern wahlweise bei Hitze oder Kälte.

Das eigentlich Problem liegt aber noch woanders: Die Schulinspektion bewertet nach umstrittenen Kriterien (Quelle: Hattie-Studie). Individualisiertes Lernen, und damit die sogenannte Binnendifferenzierung, erfordern leistungswillige Schüler, die zudem des inhaltserfassenden Lesens mächtig sind. Wer jemals in einer siebten oder achten Klasse außerhalb der Elite-Beschulung des Gymnasiums, also in der Sekundarschule, unterrichtet oder nur aufmerksam beobachtet hat, weiß, dass die Pubertät nicht immer geprägt ist von Lernwillen oder schulischer Eigeninitiative. Und: Kinder aus sogenannten bildungsfernen Milieus sind nicht nur deshalb benachteiligt, weil sie die schriftlichen Aufgabenstellungen schlechter begreifen. Sie brauchen mehr mündliche Anleitung, Erklärung und Orientierung. Bei Frequenzen von mehr als 25 Schülern ist da Frontalunterricht in vielen Fällen opportun und nicht „Igitt“, wie es in den Inspektionsberichten nach jeweils nur zwanzigminütigem Unterrichtsbesuch vermittelt wird.

Es drängt sich sowieso die Vermutung auf, dass die Binnendifferenzierung (auch) aus pekuniären Interessen so massiv in die Schulen gedrückt wird: Sie ist eben nicht so personalintensiv wie eine Beschulung in separaten Kleingruppen. Deshalb gilt mehr denn je: Wer gute Bildung will, muss auch genügend Personal bereitstellen.

Thomas Grützmann,

Sekundarschullehrer, Berlin-Tempelhof

Machen Sie es sich nicht zu einfach, wenn Sie in Ihrem „Schulmärchenreport“ die mangelnde Entwicklung der Schulpädagogik, insbesondere der Individualisierung, auf alle möglichen Ursachen zurückführen, nicht aber auf die Form schulischen Lernens und Lehrens selbst? „Soziale Probleme, bildungsferne … oder reformfeindliche Eltern, auf sich allein gestellte Kinder und Jugendliche, zu wenig Lehrer, Erzieher oder Sozialarbeiter – das alles behindert den Fortschritt“, schreiben Sie und haben damit recht. Sie lenken aber mit dieser zu kurz greifenden Erklärung davon ab, dass der allein stoffbezogene Unterricht, jedenfalls in der Sekundarstufe, ein wesentlicher Faktor der Verhinderung von Individualisierung und damit von pädagogischer Wirksamkeit schulischen Lernens ist. Solange Lehren und Prüfen ein Gleichmaß des schulischen Unterrichts erzwingen, solange sich Schülerinnen und Schüler ganz überwiegend gegen ihren Willen zur Aufnahme von Wissen genötigt sehen, das außer den Noten und Prüfungen für sie wenig oder keine Bedeutung hat, können auch noch so reformbereite Lehrer/innen nichts Entscheidendes ausrichten. Dass wirklich individualisierende Bildungsformen trotz der außerschulischen Hindernisse zu Schulerfolg und zufriedenen Schüler/inne/n, Lehrer/inne/n, Eltern führen, zeigt das Produktive Lernen in mehr als 80 deutschen Schulen. Allerdings setzen solche Bildungsformen eine Umqualifizierung der Lehrer/innen voraus – eine Investition, die sich übrigens durch die Vermeidung von schulischem Misserfolg innerhalb kurzer Zeit amortisiert.

Prof. Dr. Jens Schneider,

Berlin-Wannsee

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