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Meinung: Auch ohne Krone Herrscher

Über die neueste Politik-Affäre wissen die Franzosen wenig, halten aber viel für möglich

Natürlich wäre die spektakulärste Variante der Geschichte auch die politisch brisanteste: Niemand anders als Staatspräsident Jacques Chirac selbst hat seinem Premierminister Dominique de Villepin den Auftrag erteilt, auf Grund eines sehr vagen Korruptionsverdachtes eine Untersuchung gegen Innenminister Nicolas Sarkozy einzuleiten. De Villepin hat vehement dementiert, dass es so gewesen sei. Unbestritten bleibt, dass es die Untersuchungen gab, dass Geheimdienstgeneral Rondot mit den Ermittlungen betraut war und dass in einem Gespräch zwischen de Villepin und Rondot der Name Sarkozy eine Rolle spielte.

Zwischen Skandal und Dummheit ist also alles möglich. Immerhin geht es um die Frage, ob beim Verkauf französischer Kriegsschiffe an Taiwan Schmiergelder an hohe Politiker geflossen sind. Die Franzosen selbst wissen nicht, was sie von der Sache halten sollen. In einer Umfrage meinten 43 Prozent, der Vorgang sei wohl schwerwiegend, aber 37 Prozent hatten keine Meinung.

Die Deutschen sollten nicht überheblich auf ihre Nachbarn blicken. Auch die Bundesrepublik hatte ihre einschlägigen Affären, und noch sind nicht alle juristisch aufgearbeitet. Aber es gibt ein paar französische Besonderheiten, die sich aus der Vergangenheit und der politischen Tradition unseres Nachbarn erklären. Beide machen unser Nachbarland anfällig für eine gewisse Attitüde der politischen Klasse, sich gleichzeitig vom breiten Volk besonders abgehoben zu fühlen und die Massen dennoch fast schamlos mit bewährten Parolen ruhig stellen zu wollen.

Frankreich hat seine absolutistische Monarchie mit der Guillotine zwar offiziell abgeschafft, aber seine Präsidenten regieren wie Herrscher ohne Krone in den Palästen der Könige und Grafen von einst mit der Respekt heischenden Erwartung eines Imperators. Der sie umgebende politische Hofstaat ist um die Erhaltung der weihevollen Aura besorgt, die einer „Grande Nation“ angemessen ist. Und Anspruch auf Größe hat Frankreich eben immer noch. Ihn zu wahren, gefällt auch dem Volk. So finden die französische Nuklearrüstung und das Auftreten als Ordnungsmacht in einstigen Kolonialgebieten bei allen bedeutenden politischen Gruppierungen Rückhalt, und erst der brutale Anschlag auf das Greenpeace-Schiff „Rainbow Warrior“ 1985 in Neuseeland führte zu Rissen in der monolithischen Verneigung der Franzosen vor der offiziellen Außenpolitik.

Weniger stringent ist die Innenpolitik. Zugeständnisse im sozialen Bereich wechseln sich mit kompromisslosen Phasen ab, die wiederum regelmäßig im Aufruhr enden. Frankreich, bis zum Beginn der 80er Jahre die vielleicht innovativste Wirtschaftsnation Westeuropas, stagniert seit mehr als einem Jahrzehnt. Der ambitionierte weltpolitische Anspruch strapaziert das Land weit über seine finanziellen Möglichkeiten. Was Frankreich jetzt am wenigsten braucht, sind Hahnenkämpfe seiner politischen Klasse. Genau darin verstrickt sie sich gerade.

Gerd Appenzeller

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