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Malte Lehming

© Kai-Uwe Heinrich

Auf den Punkt: Fiebrige Leidenschaft

Malte Lehming über die Bundespräsidentenposse

Nun ist klar: Gruß-Hansel tritt gegen Gruß-Gretel an. Er, Horst Köhler, hat sich erklärt, von ihr, Gesine Schwan, wird es erwartet. In normalen Zeiten könnte einen das kalt lassen. Doch die Zeiten sind nicht normal. Was also erklärt die fiebrige Leidenschaft, mit der die Wahl des Bundespräsidenten begleitet wird?

Da ist zum einen die historisch bedingte Seelenlage der Deutschen, ihr Phantomschmerz, keinen „Führer“ mehr zu haben. Nicht, dass sie den Zielen und Mitteln Hitlers nachtrauerten, aber dessen Allmachtswahn, diese unstillbare Sehnsucht nach Größe, lebt fort. Deshalb wird das Amt des Bundespräsidenten mit Bedeutung überladen. Ihm wird Macht angedichtet, die er nicht hat. Aus der "Macht des Wortes" etwa wird ein Bohei gemacht, als wäre aus den vergangenen 60 Bundespräsidentschaftsjahren mehr in Erinnerung geblieben als Lübkes Tollpatschigkeiten, Weizsäckers 8.-Mai.-Bekenntnis und ein paar klägliche Ruckreden.

Die Deutschen leiden stärker

Zum anderen leiden die Deutschen, was ihre Spitzensymbolfiguren anbelangt, ohnehin stärker als andere Völker. Die katholischen Länder - Spanien, Frankreich, Italien - können zum Papst aufgucken, die meisten protestantischen - Skandinavien, Großbritannien, Niederlande - haben sich eine Monarchie bewahrt, in den USA wiederum muss der Präsident Regent und Rhetor zugleich sein. Bloß der deutsche Zwitter, halb katholisch, halb protestantisch, in Wahrheit aber ziemlich agnostisch, hat nichts, nur eine Leerstelle, in die folglich hineinprojiziert wird, was das Zeug hält.

Deshalb ist es faktisch wurscht, wer Bundespräsident wird, ob Köhler oder Schwan. Interessant indes ist der politische Prozess, der dahin führt. Denn ein Verlierer steht bereits fest - Kurt Beck, der SPD-Chef. Muss das sein? Muss Beck immer verlieren? Leider ja. Auf der schiefen Bahn zu rutschen, das geht halt nur in eine Richtung. Variante eins: Köhler gewinnt, obwohl Schwarz-Gelb keine eigene Mehrheit in der Bundesversammlung hat. Dann ist es Beck nicht gelungen, eine Oppositionsmehrheit gegen Köhler zu organisieren und diese geschlossen für Schwan stimmen zu lassen. Also: Beck = schwach.

Besetzung eines fast überflüssigen Amtes

Variante zwei: Schwan gewinnt. Dann hat Beck sein Wort gebrochen, auf Bundesebene nicht mit der Linkspartei zu paktieren. Denn auf die Stimmen der Linkspartei ist Schwan/Beck nun mal angewiesen. Alle gegenteiligen Beteuerungen nach dem Hessen-Debakel hätten sich als Finte erwiesen. Zwanzig Jahre nach dem Mauerfall, pünktlich zum Jubiläum, wäre das deutsche Staatsoberhaupt mit Hilfe von Alt- und Reformkommunisten ins Schloss Bellevue eingezogen. Also: Beck = abermals wortbrüchig.

Im Kampf für die Besetzung eines fast überflüssigen Amtes die eigene Karriere endgültig ruinieren: Dieses Kalkül verstehe, wer will!

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