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Malte Lehming

© Kai-Uwe Heinrich

Auf den Punkt: Jung und Jack

Malte Lehming über die Deutschen und den Krieg

Franz Josef Jung ist nicht Jack Nicholson. Im Gegenteil. Aber ein bisschen erinnert das Schicksal des ehemaligen deutschen Verteidigungsministers an das von Colonel Nathan R. Jessep, dem Kommandeur der Bodentruppen auf dem US-Marinestützpunkt Guantanamo Bay. Der Film heißt im Original „A Few Good Men“ und in deutsch: „Eine Frage der Ehre“. Colonel Jessep (alias Jack Nicholson) wird vorgeworfen, den „Code Red“ befohlen zu haben, eine Strafaktion gegen einen Soldaten, der dabei ums Leben kam. Im Kreuzverhör mit dem Navy-Anwalt Lieutenant Daniel Kaffee (Tom Cruise) gesteht er schließlich. Doch zuvor wirft Colonel Jessep dem Anwalt Kaffee vor, keine Ahnung von den Zuständen auf Guantanamo Bay zu haben und keinen blassen Schimmer vom Krieg: „Sie wollen die Wahrheit herausfinden?“, brüllt er ihn an. „Sie ertragen die Wahrheit doch gar nicht!“

Wer die Schlüsselszene im Original noch einmal sehen will:

In gewisser Weise symbolisierte Ex-Verteidigungsminister Jung alle deutschen Halbwahrheiten über den Afghanistankrieg, das Sich-in-die-Tasche-lügen, das Schönreden und Ummanteln. Denn erstens ist dieser Krieg ja gar kein Krieg; zweitens stehen deutsche Truppen am Hindukusch nur aus Bündnistreue; drittens sollen sie dem Land Demokratie bringen und ihm beim Wiederaufbau helfen; viertens ist der Einsatz bereits ein Erfolg, weil junge Mädchen, die früher von den Taliban unterdrückt wurden, zur Schule gehen können; fünftens musste Deutschland nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 Solidarität mit seinem wichtigsten Verbündeten, den USA, zeigen; sechstens besteht die Hoffnung, dass US-Präsident Barack Obama bald Verstärkung schickt und dieser Nichtkrieg doch noch gewonnen wird. Undsoweiter. Mit solchen Floskeln wird der Einsatz bis heute mehr umschrieben als begründet. Warum es dort, fernab von deutschen Grenzen, um deutsche Interessen geht, sagt keiner. Vielleicht aus Unvermögen, wahrscheinlich aus Angst. „Sie wollen die Wahrheit herausfinden? Sie ertragen die Wahrheit doch gar nicht!“

Darum ist es kein Zufall, dass zwei deutschsprachige Zeitungen heute über ihrem Kommentar fast dieselbe Überschrift haben. „Es ist Krieg“ steht in der „Neuen Zürcher Zeitung“. „’s ist Krieg“ steht in der „Süddeutschen Zeitung“. Beide analysieren die Causa Jung vor dem Hintergrund der deutschen Haltung zum Afghanistankrieg insgesamt. In der NZZ heißt es: „Es ist Krieg. Nur will niemand in Deutschland dies wirklich akzeptieren. Was am 4. September geschah, ist eine normale Kriegshandlung, deren Komplexität man nicht einmal in militärischen Lagezentren, geschweige denn in einem fernen deutschen Ministerium ermessen kann. Ein Oberst im Felde musste nachts innert Minuten einen Entscheid fällen, aber die Bundeswehr hatte die Mittel dazu gar nicht. Wie hätte man die Lage also derart genau einschätzen sollen, wie es jetzt unisono und mit spät gereifter Klugheit von allen gefordert wird? Wäre es nicht irgendwie ehrlicher, aller Tragik zum Trotz festzuhalten, dass ein Krieg gegen die Taliban immer zivile Opfer fordern wird, weil das genau ins zynische Kalkül dieser Fanatiker passt? Oder anders ausgedrückt: Wollte man solche Risiken ausschließen, müsste die Bundeswehr schleunigst abgezogen werden.“

Und die SZ schreibt: Jung war auch deswegen nicht zu halten, „weil die Zweifel der Bevölkerung an diesem Krieg am Hindukusch wachsen, weil das politische Gerede über die Demokratisierung Afghanistans immer hohler klingt und die Leute wissen wollen, wie das alles weitergehen soll – weil sie also nach Halt suchen. Weil es diesen Halt und diese Orientierung nicht gibt, orientierte man sich ersatzweise an der Unzulänglichkeit und dem Versagen des Ministers Jung; der unhaltbare Minister gab und gibt vorübergehend negativen Halt; sein Rücktritt ist fast ein bisschen Frieden. (…) Wie man aus dem Desaster Afghanistan herauskommt, weiß keiner. Wie man Minister Jung loswird, wusste man gut. (…) Der Zorn auf Jung hatte Ventil-Funktion. Die enttäuschte Hoffnung der Deutschen, bei einer guten Sache dabei zu sein, und die Frustration über die Verfahrenheit der Lage schafft sich Luft.“

Jungs Rücktritt ist ebenso richtig wie Colonel Jesseps Verhaftung. Eine deutsche Regierung, die keinen Krieg führen kann, ohne sich öffentlich lächerlich zu machen, sollte es lassen. Dabei hätte Jung groß, ja ganz groß werden können, wenn er am Freitag bei seinem letzten Auftritt vor der Presse in die Runde gefragt hätte: „Sie wollen die Wahrheit herausfinden? Sie ertragen die Wahrheit doch gar nicht!“

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