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Ulrich Zawatka-Gerlach

© Mike Wolff

Auf den Punkt: Reparierende Justiz

Ulrich Zawatka-Gerlach zu den 40 neuen Berliner Hartz-IV-Richtern

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Gerichte sind eigentlich dazu da, Gerechtigkeit herzustellen, Straftaten zu sühnen und Streitigkeiten zu schlichten. Aber zunehmend werden die Richter missbraucht, um einen überforderten und überregulierten Rechtsstaat bei laufendem Betrieb zu reparieren. Wie bei Hartz IV. In diesen Tagen geht in Berlin, beim größten deutschen Sozialgericht, die 50.000. Klage ein. Ein olympiareifer Rekord, aber wem dürfen wir die Medaille umhängen? Nur zur Erinnerung: Anfang 2005 wurden Sozial- und Arbeitslosenhilfe zusammengelegt, um die Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen in den ersten Arbeitsmarkt zu erleichtern und die Betreuung der Arbeitssuchenden durch gut ausgebildetes und ausreichendes Personal in den Job-Centern deutlich zu verbessern.

Das Gesetzespaket, damals in Vorwahlkampfzeiten mit heißer Nadel gestrickt und durch Korrekturen längst verschlimmbessert, blockiert nun im dritten Jahr die Sozialgerichte. Weil es fast so kompliziert ist wie das deutsche Steuerrecht. Andere Verfahren, etwa zur Rente, Pflegeversicherung oder der Krankenversicherung, werden monatelang zurückgestellt. Manche Kläger müssen sogar Jahre warten. Von den 85 Richtern, die am Berliner Sozialgericht arbeiten, befassen sich derweil über 50 fast nur noch mit Hartz-IV-Problemen. Da ist es natürlich der einfachste Weg, den die Justizsenatorin Gisela von der Aue jetzt einschlagen will, 40 neue Richterstellen zu beantragen. Eigentlich ist es ein Verzweiflungsakt. Denn erstens werden diese Stellen frühestens in einem, wahrscheinlich erst in zwei Jahren eingerichtet. Wenn überhaupt, denn Richter sind teuer und der Landeshaushalt für 2009/10 muss erst noch aufgestellt werden. Und zweitens löst auch ein perfekt ausgestattetes Sozialgericht die eigentlichen Probleme nicht. Es müssten Wege gefunden werden, die Hartz-IV-Konflikte von den Gerichten fernzuhalten. Häufig geht es um strittige Auslegungen des Gesetzes, um falsche Berechnungen und um Beschwerden wegen Untätigkeit der Behörden.

Es fehlt an erfahrenen, qualifizierten Mitarbeitern in den Job-Centern und an Ausführungsvorschriften, die keine großen Ermessensspielräume bieten - und die jeder verstehen kann. Ein klares Indiz für die Misere ist, dass jedes zweite Verfahren für den Kläger erfolgreich verläuft. Die Hartz-IV-Empfänger kämpfen offenbar mit großer Entschiedenheit für die staatlichen Hilfen, die ihnen zustehen. Das kann man ihnen nicht vorwerfen, das ist ihr gutes Recht. Vor allem dann, wenn der Staat - wie in diesem Fall - ein richtig schlechtes Gesetz gemacht hat. Dass die Linke in Deutschland so stark geworden ist, hat auch damit zu tun. Aber jetzt sind es erst einmal die juristischen Instanzen, denen Hartz IV hart auf die Füße fällt.

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