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Malte Lehming

© Kai-Uwe Heinrich

Auf den Punkt: Unwillige Vollstrecker

Malte Lehming über Honecker, Demjanjuk und die deutsche Justiz

Wenn alte Männer wegen kapitaler Verbrechen in Deutschland vor Gericht gestellt werden, geht das selten gut aus. Ganz rasch heißt es dann kleinlaut, die Aufarbeitung diktatorischen Unrechts sei nun mal ein gesellschaftlicher Prozess, zu dem die Justiz nur einen winzigen Teil beitragen könne. Man sei eben kein populistischer Rachestaat, der die Gefühle der Opfer zum Maßstab habe. Die Angehörigen und Sympathisanten der Angeklagten wiederum beschweren sich über eine angebliche „Siegerjustiz“, der sie gelegentlich sogar die Legitimation absprechen. So entpuppt sich, was als Jahrhundertprozess initiiert wird, oft schnell als Trauerspiel.

Das war bei NS-Verfahren kaum anders als beim Versuch, die zweite deutsche Diktatur mit Hilfe von Paragraphen zu bewältigen. Ex-Staats- und Parteichef Erich Honecker, Ex-Stasi-Minister Erich Mielke und Ex-Ministerpräsident Willi Stoph standen allesamt wegen Anstiftung zum Totschlag (das heißt wegen der Todesschüsse an der innerdeutschen Grenze) vor Gericht. Alle drei wurden wegen Haft- bzw. Verhandlungsunfähigkeit nicht zur Rechenschaft gezogen und starben in Freiheit (Mielke wurde zwar 1993 wegen eines Doppelmordes aus dem Jahr 1931 zu sechs Jahren Haft verurteilt, aber nach zwei Jahren wegen Haftunfähigkeit auf Bewährung freigelassen, er lebte dann weitere fünf Jahre, bevor er starb; für die Schüsse an der innerdeutschen Grenze war er „in außerordentlichem Maße“, so die Richter, verantwortlich).

Dass diese Verfahren inhaltlich berechtigt waren, lässt sich nicht bestreiten. In einem Grundsatzbeschluss entschied das Bundesverfassungsgericht im November 1996, dass die Schüsse an der deutsch-deutschen Grenze, die Verlegung von Minen und der Aufbau der Selbstschussanlagen die anerkannten Regeln des Menschenrechts missachtet hätten. Man könne sich dabei auch nicht auf DDR-Vorschriften berufen. „Eine Unterordnung des Lebensrechts des Einzelnen unter staatliches Interesse war materiell schwerstes Unrecht.“

Schwerstes ungesühntes Unrecht, muss man ergänzen. Denn Verhandlungs- und Haftunfähigkeit kann „selbst gegenüber einem verurteilten Straftäter“ geltend gemacht werden (so das Berliner Verfassungsgericht über die Honecker-Haft), „der sich in schwerer und unerträglicher Weise gegen alles vergangen hat, was die Wertordnung der Verfassung unter ihren Schutz stellt“. Ungeachtet der besonderen Schwere der dem Angeklagten zur Last gelegten Taten greife daher auch zu seinen Gunsten das Grundrecht auf Achtung der Menschenwürde ein.

Honecker, Mielke und Stoph waren bei Prozessbeginn allesamt jünger als der mutmaßliche NS-Kriegsverbrecher, der 89-jährige John Demjanjuk, der seit heute im Untersuchungsgefängnis Stadelheim sitzt und über den man eigentlich nur eins sicher weiß – dass er nicht „Iwan der Schreckliche“ ist, jener äußerst brutale Betreiber der Gaskammer im Vernichtungslager Treblinka. Statt dessen soll Demjanjuk ein Wächter im Todeslager von Sobibor gewesen sein. Ursprünglich habe der Ukrainer gegen die Wehrmacht gekämpft, er sei dann, im Frühjahr 1942, in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten, habe sich vor dem Hungertod retten wollen und sich daher der SS als Hilfswilliger zur Verfügung gestellt. Die Staatsanwaltschaft München klagt ihn nun an – wegen Beihilfe zum Mord in 29.000 Fällen. Das wäre, bei einer Verurteilung, zweifellos eine andere, weitaus größere Verbrechenskategorie als die, innerhalb derer sich die Missetaten der DDR-Führung bewegten.

Ob es allerdings zu einer Verurteilung kommt, ist fraglich. In der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ heißt es heute dazu, ein Prozess gegen Demjanjuk in Deutschland wäre eine Premiere: „Ein Prozess gegen ,den kleinsten der kleinen Fische’, wie der emeritierte Strafrechtslehrer Christiaan F. Rüter von der Universität Amsterdam sagt. Rüter hat Urteile gegen NS-Täter untersucht und in Dutzenden Sammelbänden herausgegeben. Er ist überzeugt: ,Um Demjanjuk würde sich niemand kümmern, wäre an ihm nicht der Geruch hängengeblieben, er sei ,Iwan der Schreckliche‘ – der er nachweislich nicht ist’.“ Auf einer Liege in einem Krankenflugzeug traf Demjanjuk heute Vormittag in München ein. Ob er verhandlungsfähig ist, müssen bayrische Amtsärzte jetzt prüfen. Betrachtet man die Geschichte jener Prozesse in Deutschland, in denen üble alte Männer die Hauptrolle spielen, dürften sich seine Sorgen in Grenzen halten.

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