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Malte Lehming

© Kai-Uwe Heinrich

Auf den Punkt: Vom Buch zur Brutalität

Malte Lehming über den serbischen Kriegsverbrecher Radovan Karadzic

Bildung schützt vor Bosheit nicht. Das belegt, einmal mehr, der serbische Kriegsverbrecher Radovan Karadzic. Der nämlich schrieb Romane, Gedichte, Kinderbücher. Er hatte Medizin studiert, war Psychiater, ein Poet und Schöngeist, ein Mann des Wortes, eine Leseratte. Das ist beileibe nichts Ungewöhnliches, denn die Kultur eines Menschen sagt nichts aus über dessen Moral. Kluge Menschen können mies, dumme Menschen gut sein. Nur im Land der Dichter und Denker, das sich einst in ein Volk von Richtern und Henkern verwandelte, glaubt man immer noch, dass Bildung irgendwie adelt. Jeder Euro, den man in die Kulturförderung steckt, wird in Deutschland als Beitrag im Kampf gegen Neonazis missverstanden. Warum bloß?

Karadzic ist schließlich kein Einzelfall. Josef Goebbels legte als Jahrgangsbester das Abitur ab, studierte Literatur und Philosophie, promovierte, schrieb Dramen und den Roman "Michael - ein deutsches Schicksal in Tagebuchblättern". Auch Stalin war ein Feingeist, verließ die Schule als bester Schüler und durfte deshalb das orthodoxe Tifliser Priesterseminar besuchen, die damals bedeutendste höhere Bildungsanstalt Georgiens. Und Gabriele D'Annunzio, eine Leitfigur des italienischen Faschismus, war gewissermaßen der Prototyp eines Intellektuellen.

Bücher und Brutalität schließen einander nicht aus. Wer glaubt, sich durch Universitätsabschlüsse oder Theaterbesuche vor dem tiefen Fall in die Inhumanität schützen zu können, irrt. Hohe Bildungsausgaben und Kultursubventionen machen eine Gesellschaft nicht besser. Völkermörder können brillante Denker sein. Wie aus dem Kulturvolk der Deutschen über Nacht Nazis werden konnten? Eine dumme Frage, da sie einen Gegensatz konstruiert, den es nicht gibt.

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