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Jost Müller-Neuhof

© Kai-Uwe Heinrich

Auf den Punkt: Vom Recht, nichts zu wissen

Jost Müller-Neuhof über die Ermittlungen in Winnenden.

Ich weiß, dass ich nicht weiß, wusste der Athener Philosoph Sokrates. Mehr als 2000 Jahres später wusste der Bielefelder Soziologe Niklas Luhmann: Alles, was wir über die Welt wissen, wissen wir aus den Massenmedien. Wenn man beide Aussagen zusammendenkt, kann man nicht anders als sich eine grundlegende Skepsis gegenüber allem anzueignen, was uns jenseits unserer eigenen unmittelbaren Erlebniswelt an Berichten zugetragen wird.

Wo war diese Skepsis bei der Stuttgarter Staatsanwaltschaft? Wo war sie beim Stuttgarter Innenminister? Sie hatten den „Stand der Ermittlungen“ zum Amoklauf von Winnenden verbreiten wollen und dabei ein Internet-Chat-Protokoll mit der Tatankündigung vorgestellt, das vermutlich eine Fälschung war. Solche Fehler sind peinlich, aber noch verschmerzbar. Doch wie kam die Staatsanwaltschaft dazu zu behaupten, der Chat-Eintrag hätte sich auf dem Computer des Täters gefunden? Wo war der Beleg dafür? Wer hat das bestätigt? Welchen Hinweis gab es darauf? Hat man am Ende gemeint, die eine Information kann nicht ohne die andere existieren - und sie gewissermaßen erfunden?

Die Medien- und Internetgesellschaft erzeugt einen gewaltigen Druck auf die Behörden, schnellstens Informationen bereitzustellen. Der Nachrichtenstrom muss fließen, keine Minute ohne eine Ich-weiß-was-Meldung. Doch gerade Polizei und Staatsanwälte brauchen Zeit, um einen Vorfall untersuchen zu können. Beides passt nicht zusammen und wird nie zusammenpassen.

Dass Politiker die Medienregeln längst akzeptieren und sich danach richten, ist zwangsläufig, denn kritische Masse ist ihre einzige Legitimation. Anders Staatsanwaltschaften: Sie sollen sich nicht abschotten, aber sie müssen dem Druck widerstehen, im Nachrichtengeschäft mit den Medien um die Wette zu laufen. Sie sollen nicht die Welt erklären, sie sollen mit ihrem privilegierten Zugang Fakten ermitteln, die nur sie ermitteln können. Und in Ruhe überlegen, welche sie weitergeben können. Die Welt erklären dann andere.

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