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Moritz Döbler

© Kai-Uwe Heinrich

Deutsche Exporte: Streber wie wir

Deutschland bleibt auf seine Exporte angewiesen, auch wenn das andere europäische Länder erzürnt.

Die Klasse besteht aus 27 Schülern. Alle haben sie Probleme in diesem Schuljahr. Aber einer kommt besser klar als die anderen. Jetzt wollen die anderen, dass er sich weniger anstrengt. So jedenfalls kann man die französische Finanzministerin Christine Lagarde auch verstehen: Deutschland soll nicht so viel exportieren, sondern die Binnennachfrage stärken.

Abstrakt klingt das super. Wer würde nicht gerne für ein bisschen Binnennachfrage sorgen! Aber im großen Maßstab gibt es dafür nur zwei Möglichkeiten: Entweder der ohnehin hoch verschuldete Staat gibt mehr Geld aus, ob nun für Investitionen oder für Transferleistungen. Oder die Arbeitgeber zahlen deutlich höhere Löhne und Gehälter.

Das eine ist dank der grundgesetzlichen Schuldenbremse ausgeschlossen, und das andere macht wenig Sinn. Wenn das Gehaltsniveau signifikant stiege, würden deutsche Produkte teurer und stießen auf weniger Nachfrage in der Welt. Die Binnennachfrage nach Maschinen und Autos – Deutschlands wichtigste Exportgüter – könnte das kaum wettmachen. Die Kritik am gerade abgelösten Exportweltmeister ist also eigentlich der Ruf nach einer Deindustrialisierung Deutschlands. Das kann man sich gut vorstellen, dass die anderen das gerne so hätten; der Begriff der Dienstleistungsgesellschaft war ja mal en vogue.

Doch sollte man sich die Dienstleistungen sehr genau anschauen. Sicher könnten Unternehmensberater für beträchtliche Binnennachfrage sorgen, aber Friseurinnen, die pro Haarschnitt fünf Euro Umsatz machen, tun sich damit schwer. Man schaue sich nur mal die Dienstleistungsstadt Berlin an, die über die Jahrzehnte weite Teile der Industrie verloren hat und in der heute jeder fünfte Einwohner staatliche Leistungen bezieht.

Die Industrie sorgt für die Wertschöpfung, sie sichert den hohen Lebensstandard, den die meisten Deutschen bis heute haben – und sie findet ihre größten Absatzmärkte im Ausland. Weil die deutschen Maschinen und Autos erstklassig sind, können die nach wie vor vergleichsweise hohen Löhne und Gehälter gezahlt werden. Den Wettlauf um die niedrigsten Lohnkosten werden China, Indien, Brasilien und all die anderen Schwellenländer noch auf viele Jahre für sich entscheiden, aber die besten Technologien müssen die deutschen Unternehmen haben.

Denn nur so lässt sich der gewachsene Wohlstand – die Binnennachfrage! – halten. Offen ist, wie gut das gelingen wird. Effizienz und Nachhaltigkeit als Antwort auf den Klimawandel sind die Themen der Industrie in den nächsten Jahren und Jahrzehnten. Doch da sind die deutschen Hersteller längst nicht überall vorne. So hat die Autobranche lange geschlafen. Jetzt werden auf einmal überall blitzende Elektroautoprototypen präsentiert und auch erste Feldversuche unternommen, aber die Massenproduktion wird wohl in China schneller in Gang kommen.

Hier wie bei anderen Produkten müssen deutsche Hersteller technologische Überlegenheit realisieren, um globale Märkte zu erschließen. Es ist langfristig besser, ein ungeliebter Streber zu sein, als sitzen zu bleiben – auch wenn es zwischendurch mal Prügel gibt.

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