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Gerd Appenzeller (neu)

© Mike Wolff

Sonntagsöffnung: Shoppen wie in Ost-Berlin

Gerd Appenzeller vermisst weltstädtische Grandezza beim Berliner Ladenschluss

Manchmal ist Berlin heute noch so, wie der real existierende Sozialismus einmal war: Alles muss gleich sein, wer herausragt, bekommt eins auf den Deckel. Beispiel dafür? Ja doch.

Berlin hat ein Ladenschlussgesetz, das der Senat sehr fortschrittlich nennt, und gegen das nicht nur die Kirchen klagen, weil es zehn verkaufsoffene Sonntage im Jahr erlaubt. Die Anlässe dafür können nichtig sein, blanke Vorwände. Wenn in Mitte der Bundesverband der Spitzmauszüchter seine Deutschlandtagung abhält, haben in Tegel vielleicht die Supermärkte am Sonntag auf – der reine Blödsinn, aber das Gesetz macht es möglich.

Nicht möglich macht das gleiche Gesetz offenbar, dass die Geschäfte im Hauptbahnhof jeden Sonntag geöffnet sind. Die Gewerkschaft Verdi hat festgestellt, dass das Personal nicht immer nach Tarif bezahlt wird, und dem Handelsverband Berlin-Brandenburg liegen Beschwerden von Ladenbesitzern irgendwo in Berlin vor, die ihre Geschäfte nicht am Sonntag öffnen dürfen, weil die nicht im Hauptbahnhof sind. Also schickt der Senat das Landesamt für Arbeitsschutz in die Spur. Deren bemitleidenswerte Kräfte schauen nun am Sonntag, ob im Hauptbahnhof wirklich nur Reisebedarf und nur an Reisende verkauft wird. Das Ende ist klar: Demnächst wird es am Sonntag im Hauptbahnhof dunkel.

Man fragt sich, wie vorgestrig die Berliner Politik ist. Gegen mangelnde Tariftreue kann eine Gewerkschaft rechtlich vorgehen. Der Handelsverband sollte genau hinschauen, was im Hauptbahnhof passiert. Die Kaiser's-, Rossmann- und Strauss-Innovation-Leute werden sich kaum beschweren, und wer bei denen am Sonntag reinschaut, findet jede Menge Kunden von auswärts, die froh sind, dass man in Berlin, anders als in Posemuckel, nach der Ankunft oder vor der Abfahrt des Zuges noch einkaufen kann. Und die paar Berliner unter der sonntäglichen Kundschaft werden die umliegenden Geschäfte kaum in die Pleite treiben.

Statt mit einer gewissen weltstädtischen Grandezza mit dem Problem umzugehen und sich an der Berliner Vielfalt zu freuen, wird nun Ordnung wieder hergestellt. Jawoll, Ordnung muss sein! Und nicht nur auf dem Hauptbahnhof. Wer sich einbildet, dass er künftig am Sonntag auf dem neuen Flughafen BBI einkaufen kann, dem wird der Senat es auch noch zeigen. Spätestens 2011, wenn BBI eröffnet. Eine tolle Stadt!

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