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Meinung: Aufgeklärt, abgeklärt: Keine Feigheit vor dem Freund

Das deutsch-amerikanische Verhältnis ist neben dem deutsch-französischen wichtigster Teil der Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland. Zu Recht verwendet die deutsche Außenpolitik größte Sorgfalt darauf, dieses Verhältnis zu pflegen.

Das deutsch-amerikanische Verhältnis ist neben dem deutsch-französischen wichtigster Teil der Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland. Zu Recht verwendet die deutsche Außenpolitik größte Sorgfalt darauf, dieses Verhältnis zu pflegen. Aber Pflege darf nicht zu Leisetreterei gegenüber einer verhängnisvollen Entwicklung werden.

Nun hat Kanzler Gerhard Schröder in Washington gegenüber dem neuen amerikanischen Präsidenten eine deutliche Sprache gesprochen. Er hat George Bush dessen Wortbruch hinsichtlich des Kyoto-Protokolls zum Klimaschutz vorgehalten. So weit, so gut. Sofort jedoch wird der Beschwichtigungschor angestimmt: Nur nicht zu viel Ärger, unter Freunden kann es kleine Missverständnisse in Einzelfragen geben, über die großen Dinge dieser Welt sei man sich ja einig.

Die Beschwichtigung ist Selbsttäuschung. Tatsächlich geht es nicht um Meinungsverschiedenheiten in Einzelfragen. Es geht um ein fundamentales Auseinanderdriften über Grundwerte und Prinzipien internationaler Ordnung. Diese Entwicklung ist seit Jahren zu erkennen, wird aber von der deutschen Politik geflissentlich übersehen, verschwiegen, heruntergespielt. Ein Geschwür, das nicht rechtzeitig behandelt wird, kann bösartig werden. Wir stehen kurz davor.

Worum geht es? Nach dem Zweiten Weltkrieg entwarfen die USA eine Weltordnung, die auf zwei Pfeilern beruhen sollte: der eigenen Stärke und einem lebenskräftigen, von einem Geflecht internationaler Organisationen getragenen Völkerrecht. Die USA nahmen in diesen Organisationen eine führende Stellung ein, aber die Regeln galten auch für sie.

In seiner Rede zur "Neuen Weltordnung" hatte Präsident Bush der Ältere diese Vision 1991 bekräftigt. Auch Bill Clinton war unter der Flagge des Multilateralismus angetreten, unter dem Druck des konservativen Kongresses aber bald davon abgerückt. Seit Jahren verkündet die "National Security Strategy" der Vereinigten Staaten, man werde Gewalt wenn möglich und wünschenswert mit einem Mandat der Vereinten Nationen anwenden, wenn nötig aber auf eigene Rechnung.

Das Antipersonenminen-Abkommen wurde nicht unterzeichnet, die Verhandlungen zum Internationalen Strafgerichtshof wurden hintertrieben. Amerikanische Politik bewegte sich von der Stärkung des Völkerrechts weg und auf einen vorwiegend militärisch unterlegten Unilateralismus zu. Die deutsche Politik übte Kritik im Einzelfall und sah von dem großen, sich abzeichnenden Muster ab.

Amerika tut, was ihm nützt

Unter Bush dem Jüngeren ist dieses Muster Programm: Amerika tut, was es will. Internationale Regeln gelten, wenn es den eigenen Interessen nutzt. Sie werden jedoch gebrochen, ignoriert oder gar nicht erst akzeptiert, wenn sie irgendwelche Zugeständnisse erfordern. Die Vereinigten Staaten wollen totale Handlungsfreiheit für sich: Weltpolitik nach Gutsherrenart. Der Teststoppvertrag, das Kyoto-Protokoll und der ABM-Abrüstungsvertrag mit seinem weitgehenden Verbot der Raketenabwehr werden auf den Müllhaufen geworfen. Die Beziehungen zu Russland, China, Nordkorea werden verschärft. Man zeigt, wer Herr im Hause ist.

Dies bedeutet einen Bruch mit dem westlichen Konsens, der sich noch im Dezember letzten Jahres - nach erheblichen Anstrengungen der europäischen Partner - im "Rüstungskontrollbericht" der Nato niedergeschlagen hatte: Die Sicherheitspolitik des Westens beruht auf der Verbindung von militärischer Stärke und kooperativen Angeboten.

Nun hat die Regierung in Washington die Vision der Demokratien einseitig aufgekündigt, die "Rule of Law" schrittweise auch international durchzusetzen. Mit dieser Verbreitung des Rechtsstaatsprinzips wollten die westlichen Kabinette im Zeitalter wachsender weltweiter Verflechtungen ein für die Demokratien förderliches Umfeld bauen.

In diesem Punkt sind grundlegende europäische Interessen gefährdet, auch das nationale Interesse Deutschlands. Europa und die Bundesrepublik setzen aus historischen und aus geopolitischen Gründen auf internationale Zusammenarbeit, Einbindung und Verrechtlichung, ohne deshalb ein glaubwürdiges militärisches Dispositiv zu vernachlässigen.

Übertriebene Unterwürfigkeit

Die übertriebene Höflichkeit - oder soll man sagen: Unterwürfigkeit? - der letzten Jahre darf nicht fortgesetzt werden. Wo es ums "Eingemachte" geht, ist eine klare Sprache erforderlich, und zwar im Grundsätzlichen. Europa muss zu einer gemeinsamen diplomatischen Haltung finden. Dabei kommen Deutschland und auch Frankreich wesentliche Aufgaben zu. Dem amerikanischen Partner muss klargemacht werden, dass diese neue Linie mit Europa nicht zu machen ist.

Glücklicherweise gibt es in den Vereinigten Staaten hierfür durchaus Partner, vor allem im Außenministerium, aber auch bei den Demokraten und den gemäßigten Republikanern im US-Kongress. Auch die Medien lassen sich für eine kritische Debatte mobilisieren. Wenn es um die Zukunft des atlantischen Verhältnisses geht, muss das Motto heißen: Keine Feigheit vor dem Freund.

Der Autor ist Leiter der Hessischen Stiftung Fried

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