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Meinung: Balkan-Krise: Kontrollierter Bündniswechsel

Welch ein Revirement der Bündnisse so kurz nach dem Krieg. Knapp zwei Jahre nach den Nato-Luftangriffen auf Serbien, nur anderthalb Jahre, nachdem die internationale Friedenstruppe KFOR Kosovo besetzt hat, um die Albaner vor der Verfolgung zu schützen, verbündet sich die Allianz mit Belgrad, um die Grenzen gegen die albanische Befreiungsarmee UCK zu schützen.

Welch ein Revirement der Bündnisse so kurz nach dem Krieg. Knapp zwei Jahre nach den Nato-Luftangriffen auf Serbien, nur anderthalb Jahre, nachdem die internationale Friedenstruppe KFOR Kosovo besetzt hat, um die Albaner vor der Verfolgung zu schützen, verbündet sich die Allianz mit Belgrad, um die Grenzen gegen die albanische Befreiungsarmee UCK zu schützen. Die will einen eigenen Staat unter Einbeziehung von Landstrichen erzwingen, die in Serbien und Mazedonien liegen. Um das zu verhindern, dürfen serbische Soldaten nun wieder in die entmilitarisierten Pufferzonen einrücken, in denen die UCK operiert.

Nur um die Tragweite dieser Entwicklung deutlich zu machen, ein hypothetischer Vergleich: Wäre das denkbar gewesen, dass die Großmächte zwei Jahre nach dem Ende des Weltkriegs deutschen Soldaten den Schutz der Oder-Neiße-Grenze anvertrauen? Nein - und zwar nicht nur, weil Deutschland bedingungslos kapituliert hatte, besetzt war und keine Armee mehr hatte. Sondern es war unvorstellbar, der Armee, die 1939 Polen überfallen hatte, nun den Schutz der Grenze anzuvertrauen.

Milosevic ist nicht Hitler, Serbien nicht Nazi-Deutschland - und die Nato durfte nur Kosovo besetzen, nicht das serbische Kernland, obwohl Belgrads Truppen seit 1991 vier Kriege vom Zaun gebrochen hatten. Im Kosovo haben sie 1999 Hunderte Albaner ermordet, Hunderttausende vertrieben. Gewiss, in Belgrad hat es eine Wende zur Demokratie gegeben. Aber kann man diesem Wandel trauen? Werden die Soldaten, nur weil ihr Staatsoberhaupt jetzt Vojislav Kostunica heißt, der Versuchung widerstehen, offene Rechnungen mit der UCK zu begleichen?

Doch der Ernst der Lage erzwingt ein Umdenken. Die radikalen Albaner haben die Rettung ihrer Landsleute vor Milosevic mit Undank belohnt, zündeln im Kosovo sowie in der Pufferzone zu Serbien - und tragen den Konflikt nach Mazedonien, wo die Albaner ein Viertel der Einwohner stellen. Dieser kleine Staat kann sich nicht allein gegen die Bedrohung wehren; prompt haben die USA ihr Kontingent in Mazedonien verstärkt.

Die Gegner von gestern mutieren zu Partnern von heute - und die Nationalisten unter den Schutzbefohlenen von 1999 zu Feinden. Die Entwicklung lässt sich erklären. Und droht doch die normale Vorstellungskraft zu überfordern. Vielleicht ist das der Grund, warum plötzlich wieder Verschwörungstheorien die Runde machen: Die Nato wolle um jeden Preis Opfer in den eigenen Reihen vermeiden, gehe deshalb nicht selbst gegen die albanischen Kämpfer vor - und überlasse die Schmutzarbeit gerne den Serben. Das ist Unfug. Standhaftigkeit und Mut hat die KFOR mehrfach bewiesen: etwa als sie in Mitrovica fanatischen Serben wie Albanern entgegentrat oder als sie Waffenlager der UCK aushob. Sie hat einige Todesopfer zu beklagen.

Dass die KFOR nicht auch noch die serbische Seite der Grenze schützt, hat einen einfachen Grund: Das darf sie überhaupt nicht. Das UN-Mandat beschränkt sich auf Kosovo. Die Nato kann den Serben aber Bedingungen auferlegen, unter denen ihre Soldaten in die Pufferzone einrücken dürfen. Der Luftraum bleibt der KFOR vorbehalten, so kann sie das Vorgehen überwachen. Kontrolle ist geboten - und möglich. Vertrauen wäre naiv. Aber wenn der Westen nicht auf unabsehbare Zeit den Balkan-Frieden mit eigenen Truppen sichern will, dann muss er einen vertrauenswürdigen Partner aufbauen: als potenzielle Ordnungsmacht der Zukunft. Da bietet sich nach aller historischer Erfahrung nur Serbien an. Realistisch ist diese Option freilich erst seit der demokratischen Wende in Belgrad.

Aus Feinden werden Partner - das dauert normalerweise Jahrzehnte. Aber was ist schon normal auf dem Balkan? Die neue Partnerschaft bedeutet einen großen Vertrauensvorschuss für Serbien. Den muss Belgrad jetzt rechtfertigen. Das wird Joschka Fischer dem neuen Regierungschef Zoran Djindjic bei dessen Besuch in Berlin gestern eindringlich gesagt haben. Der spricht fließend Deutsch - und versteht die Botschaft wohl viel besser als die UCK.

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