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Bankenkrise: Es stirbt ein Stück Amerika

Die USA sind kaum wiederzuerkennen. Prinzipien, die zu den Grundpfeilern der Marktwirtschaft dieses Landes gehörten, werden über Bord geworfen. Die Wirtschaft regele sich am besten selbst, lautete eines der eisernen Gesetze. Jetzt wirft die US-Regierung Beträge auf den Markt, die einen kompletten deutschen Bundeshaushalt übersteigen.

Staatsinterventionismus ist grundsätzlich von Übel, lautete eines dieser eisernen Gesetze. Die Wirtschaft regele sich am besten selbst, gute Entscheidungen werden durch Gewinne belohnt, falsche durch Verlust oder gar Bankrott bestraft. Firmenzusammenbrüche gehören zu den Selbstheilungskräften des Marktes. Nun hat die Regierung binnen weniger Wochen mehr als 500 Milliarden Dollar aus Staatshaushalt und Bundesbankreserven bereitgestellt, um das Bankensystem zu stützen. Ein weiteres Paket im Wert mehrerer hundert Milliarden Dollar soll bis Ende kommender Woche folgen.

Bei ihren bisherigen Rettungsmaßnahmen hat die Regierung sich kaum um den Kongress geschert. Dabei ist das Budgetrecht des Parlaments ein Kardinalprinzip der Demokratie – und gehört im Fall der USA zum Gründungsmythos. Die Bürger sehen voll Zorn, dass ihre Steuergelder dazu benutzt werden, Spekulanten an der Wall Street zu retten, und ihre gewählten Vertreter nicht mal gefragt wurden. Das geschieht unter einem Präsidenten, der das Doppelsystem aus freiheitlicher Demokratie und Marktwirtschaft amerikanischer Prägung zum Heilsrezept für die ganze Welt verklärt hatte.

In diesen Tagen stirbt ein Stück Amerika: ideologisch, politisch und praktisch. Die Krise, die in ihrer Dimension an den Zusammenbruch des Weltwirtschaftssystems 1929 heranreicht, stellt das Versprechen des amerikanischen Traums infrage. Das Eigenheim ist bedroht, die Ausbildung der Kinder scheint nicht mehr finanzierbar, die eigene Altersversorgung, die in den USA zum Großteil aus Börsenwerten besteht, ist gefährdet – und konsumieren kann Durchschnittsbürger Joe Average schon lange nicht mehr so leicht auf Pump, wie er das Jahrzehnte gewohnt war. Die Kreditbedingungen haben sich dramatisch verschärft.

Doch während dieses Stück Amerika stirbt, scheint Rettung aus einem anderen Teil zu kommen, der ebenso untrennbar zum Selbstbild gehört: Pragmatismus in der Not. Mag sein, dass US-Finanzminister Henry Paulson und Notenbankchef Ben Bernanke mit ihren einsamen Beschlüssen den Kongress übergehen und Präsident Bush leichthin die Staatsdoktrin über Bord wirft – doch hier zeigen Menschen Führungskraft. Amerikaner haben ein anderes Verständnis von der Verbindlichkeit eines Regelwerks als Europäer. Speziell Deutsche empfinden Verfassungsprinzipien und Gesetze mit Blick auf ihre Geschichte als Schutzmechanismen gegen ein Abgleiten in die Diktatur. Regeln gibt es aus gutem Grund, und man muss sie einhalten, selbst wenn die Welt dabei zugrunde geht.

Amerikaner lassen lieber das Regelwerk zugrunde gehen, sofern sich einigermaßen überzeugend behaupten lässt, dass man so die Welt retten kann. Die Summen, mit denen hantiert wird, machen die Taten umso atemberaubender. 200 Milliarden Dollar Kriegskosten pro Jahr galten als unfinanzierbar? Obamas Krankenversicherung für alle sei unbezahlbar? McCains Steuererleichterungen bedeuten den Staatsbankrott? Das war vorgestern. Jetzt wirft die US-Regierung binnen weniger Tage Beträge auf den Markt, die einen kompletten deutschen Bundeshaushalt übersteigen. Ein Stück Amerika stirbt, ein Stück Amerika rettet die Weltwirtschaft. Das Letztere muss freilich erst noch bewiesen werden.

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