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Bierchen und Heftchen: Eine Infobroschüre informiert bei einem SPD-Stammtisch über das Votum

© dpa

Basisdemokratie mit Ansage: Ausnahmsweise haben es die SPD-Mitglieder mal besser

Es ist gut, dass die SPD-Mitglieder über den Koalitionsvertrag entscheiden dürfen. Denn egal wie sie stimmen: Dass sie es dürfen, verleiht der Arbeiterpartei eine zeitgemäße Verantwortungsethik. Die zu nutzen, dürfte für die einzelnen Mitglieder jedoch schwer werden.

Es ist und bleibt Basisdemokratie mit Ansage: Dass die SPD-Mitglieder über den Koalitionsvertrag abstimmen sollten, hat Sigmar Gabriel Ende September angekündigt. Jetzt wird es konkret – und berufene wie weniger berufene Betrachter kommen mit Fundamentalbedenken. Von „Stillstand“ ist die Rede und davon, dass eine knappe halbe Million SPD-Mitglieder entscheide, wann Deutschland wieder eine Regierung habe. Der Historiker Hans-Ulrich Wehler sieht sogar die repräsentative Demokratie geschwächt: Jetzt gebe es „sozusagen eine plebiszitäre Volksentscheidung“.

Das sind ziemlich große Bedenken für einen Vorgang, dem man auch Positives abgewinnen kann. Um mit dem „Plebiszitären“ anzufangen: Immerhin praktiziert die SPD in dem ihr möglichen Rahmen, was viele Bürger im Prinzip richtig finden. Mehr als 80 Prozent der Bürger hätten gern mehr direkte Entscheidungsmöglichkeiten, auch in der Bundespolitik. Um es nur ansatzweise scherzhaft zu sagen: Ausnahmsweise haben es die SPD-Mitglieder mal besser als der Rest der Republik.

Und waren nicht, als ein Polit-Gespenst unter der Totenkopfflagge namens Piraten durch die Lande segelte und von Umfragestürmen fast in den Bundestag getragen worden wäre, alle Beobachter und Kommentatoren ergriffen von der Direktheit und Unmittelbarkeit der Willensbildung? Bei der Union ist es normalerweise so, dass ein sogenannter kleiner Parteitag noch mal beschließt, was der Parteivorstand entschieden hat. So muss das sein in einer auf die Spitze hin orientierten Partei – und doch wirkt es eher repräsentativ als direkt-demokratisch.

Die Sozialdemokraten müssen jetzt pragmatisch sein - und Konsequenzen ziehen

Wichtiger für das Land könnte etwas anderes werden: Wenn die SPD mit ihren mehr als 470.000 Mitgliedern zu einer Art zeitgemäßer Verantwortungsethik fände, wäre das nicht schlecht. Mit dem Dauer-Hader über Hartz IV und über einen erfolgreichen Kanzler namens Gerhard Schröder sollte es längst vorbei sein in einer Zeit, in der politikaffine Menschen von einer Kanzlerin Angela Merkel ein paar Gedanken zu einer Agenda 2020 erwarten.

Anders gesagt: Die SPD-Mitglieder können, jedes für sich mit seinem Kreuzchen, ein Zeichen der Geschlossenheit setzen – und sich selbst dazu verpflichten, in den kommenden vier Jahren die Verantwortungsethik etwas höher zu bewerten als das gute Gefühl, es gehe doch nichts über Umverteilung und das, was manche Leute für gerecht halten. Und eine geschlossene SPD wäre im und für den politischen Betrieb in Deutschland wertvoller als ein so traditionsreicher wie in sich zerstrittener Arbeiterverein, der sich mit anderen politischen Kräften ohnmächtig an Merkel abarbeitet.

Einstweilen ist – das wird vielen Sozialdemokraten nicht gefallen – Pragmatismus gefragt. Wem die reine Ethik politischer Wünsche nach Reichensteuern oder Euro-Bonds wichtiger ist, wird nicht koalieren wollen – und wäre bei der Linkspartei besser aufgehoben.

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